100 Jahre Louise und Joe Stebler-Keller

An einem 3. Februar und einem 3. Juli vor hundert Jahren wurden Joe Stebler (1924 – 1994) und Louise Stebler-Keller (1924 – 2019) geboren. Die beiden Gründer:innen der Schweizerischen Friedensbewegung setzten sich mit Hartnäckigkeit unbeirrt und unermüdlich ein für den Frieden, für Gerechtigkeit, für die Rechte der Arbeiter, der Frauen, der Benachteiligten, kurz gesagt, für alle, die Hilfe und Unterstützung nötig hatten. Wir gedenken ihnen in tiefer Dankbarkeit.

Von Martin Schwander

Am 8. Mai 1947 schreibt der damals 23-jährige Basler Grossrat Hans Joe Stebler im «Vorwärts» in einer Buchbesprechung, es sei mit aller Deutlichkeit zu sagen, dass der Dritte Weltkrieg keineswegs unvermeidlich ist. «So gut wie es möglich war, den Krieg gegen die nationalsozialistischen und faschistischen Weltunterdrücker zu gewinnen, weil eine Koalition zwischen einem sozialistischen Staate und demokratisch regierten kapitalistischen Staaten zustande kam, so gut ist es möglich, den Frieden durch einen Bund derselben Staaten zu bewahren.»

Joe Stebler
«Friedens-Joe» nannten meine Kinder Hans Stebler, um ihn von einem anderen, dem Spanien-Joe, zu unterscheiden. Der Friedens-Joe – gibt es eine grössere Anerkennung als diesen Titel aus dem Munde derer, für die wir eigentlich kämpfen, um deren Zukunft es geht? Hans Stebler wurde am 3. Februar 1924 als Sohn einer Arbeiterfamilie im unteren Kleinbasel geboren. Zusammen mit seiner älteren Schwester Paula verbringt er eine entbehrungsreiche, aber glückliche Kindheit und Jugend. Geprägt ist diese Kindheit einerseits von der Wirtschaftskrise der dreissiger Jahre mit ihrer Not und ihren Entbehrungen, die vor allem die Arbeiterschaft treffen, andererseits von der Machtergreifung der Hitler-Faschisten im benachbarten Deutschland und ihrem brutalen Terror gegen die Arbeiterbewegung. «1934 lernten wir uns kennen im Kinderferienlager der Feriengemeinschaft Basler Arbeiterkinder im Engadin», erinnert sich Hansjörg Hofer am 2. Dezember 1994 in einer Ansprache an den gerade verstorbenen Friedensfreund. «Hans und Paula traten dem Arbeiterkinder-Verband bei und dort sind wir zusammen aufgewachsen. Der AKV war unsere Heimat. Wir trugen blaue Blusen und den roten Schlips, sammelten Gelder für die Ferienlager, machten Solidaritätsarbeit für Streikbewegungen in der Schweiz und für die politischen Emigranten aus Italien und Deutschland.» Als sich 1939 die Sozialdemokratische Jugend und der Kommunistische Jugendverband zur Sozialistischen Jugend (SJ) zusammenschlossen, war Joe, wie er wegen seiner Vorliebe für die Romane Jack Londons genannt wurde, dabei.
Bereits ein Jahr später, nach dem Sieg der Hitlerwehrmacht im Westen, wurde die Sozialistische Jugend wie die Kommunistische Partei vom Bundesrat verboten. Razzien, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen folgten. Joe, der in Buochs Arbeitsdienst leistete, wurde dort von der politischen Polizei abgeholt und ganze fünf Wochen im Lohnhof in Untersuchungshaft gehalten. Während die Sozialdemokratische Jugend nach dem Verbot der SJ als legale Organisation neu gegründet werden konnte, musste der Kommunistische Jugendverband in der Illegalität wieder aufgebaut und organisiert werden. «Joe hat in dieser Phase grosse Arbeit geleistet und hat sich zum unangefochtenen Leader dieser Jugendbewegung entwickelt», unterstrich Hansjörg Hofer. «Alles setzten wir ein, was wir hatten und konnten, im Kampf gegen die HitlerBarbaren, die 1941 die Sowjetunion überfallen hatten. Am Wochenende aber tippelten wir im Jura, sangen unsere hoffnungsvollen Lieder am Lagerfeuer, die Joe mit seiner Mundharmonika anzustimmen pflegte.» In dieser Zeit lernt Joe in der Jugendbewegung auch Louise Keller kennen, seine zukünftige Lebensgefährtin.

Louise Stebler-Keller
Louise stammte aus einer Täuferfamilie im Kanton Schwyz. Ihr Grossvater sei ein fortschrittlicher Denker gewesen, der am Sonntag Wanderungen in der Natur dem Kirchenbesuch vorgezogen habe, meinte Louise in ihren Erinnerungen («Lebenszeiten», Nestor-Verlag Bratislava). «1922 zogen meine Eltern Joseph und Anna Keller-Winkler nach Lyon, wo sie heirateten. Mein Vater arbeitete als Optiker, meine Mutter als Kindermädchen. (…) Sie wurden Mitglieder der starken kommunistischen Partei Frankreichs (PCF).» Weil Louises Vater für ein grosses Fest der PCF als Buchhalter wirkte, wurde das Ehepaar des Landes verwiesen. Sie zogen nach Genf, später nach Zürich und begründeten ihr eigenes Optikergeschäft. Als Louise fünf Jahre alt war, wechselten sie nach Basel. Als Schulkind strickte Louise ihre ersten Socken für das gegen den Faschismus kämpfende Spanien, während ihre Eltern in der Roten Hilfe aktiv waren. Mit 17 Jahren trat sie selbst der «Freien Jugend» bei, wie sich der Kommunistische Jugendverband damals nannte. In Basel sei antifaschistisches Denken weit verbreitet gewesen, schrieb Louise. Sie selbst half als Kind kleine Flugblätter in schwarzes Papier einzurollen, die dann von einer Brücke auf die Züge geworfen wurden, die ins faschistische Deutschland fuhren. Später wurden ihre Aktionen handfester: «Wir spannten Telefondrähte über den Rhein, mitten in der Stadt Transparente mit antifaschistischen Parolen. Wir klebten Zettel und sprayten an Hauswände, z. B. ‹Schnauz schlägt Schnäuzchen› (Stalin/Hitler). Wir liessen Zettel in Versammlungen flattern. Wir brachten illegal Zeitungen zu den Abonnenten oder druckten selbst solche. Wir sabotierten Transportzüge, die von Deutschland nach Italien fuhren und nachts bei Basel standen, indem wir die Achsen mit Sand füllten.»
Einige dieser Aktionen führte sie bereits mit ihrem späteren Mann durch. Joe absolvierte im Geschäft ihrer Eltern eine Optikerlehre, die später noch durch eine Optikermeister-Lehre ergänzt wurde. 1946 im Herbst heiraten die beiden und waren bald Eltern zweier Töchter. «Schon in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre fühlten sich Joe und Louise stark zur internationalen Friedensbewegung hingezogen», unterstrich Hansjörg Hofer in der erwähnten Ansprache. Tatsächlich beteiligen sich die zwei Führungsmitglieder der neugegründeten «Freien Jugend der Schweiz» mit aller Kraft an der Organisation «Frieden durch Aufbau», die in Jugoslawien, Bulgarien und der Tschechoslowakei Arbeitseinsätze leistete und damit einen der Keime für die künftige Schweizerische Friedensbewegung legte.

Die Zukunft ist gemeinsam oder sie ist nicht
1949 – in Washington war gerade der aggressive NATO-Pakt unterzeichnet und in Bonn zur Gründung eines Separatstaates gerüstet worden, Frankreich führte seinen schmutzigen Krieg gegen die Völker Indochinas, England massakrierte die Malaien, in Griechenland wehrten sich einige Patrioten verzweifelt gegen die Reaktion, der kalte Krieg drängte die demokratischen Kräfte allenthalben in die Defensive. Und in diesem 1949, am 20. April, eröffnete der französische Atomphysiker und Nobelpreisträger Joliot-Curie im traditionsreichen Pariser Konzertsaal von Pleyel den Weltkongress der Kämpferinnen und Kämpfer für den Frieden. Der 29-köpfigen Delegation aus der Schweiz schlossen sich auf eigene Initiative auch der junge Basler Grossrat Joe und Louise an. Zurück in der Schweiz, nach der Gründung der Schweizerischen Friedensbewegung, sollten sie, zunächst in Basel, später dann, in schwierigen Zeiten, schweizweit zu den tragenden Säulen dieser Bewegung gehören. Der beginnende Erfolg der Friedensbewegung weltweit und in unserem Land veranlasste die kriegstreibenden Kräfte zu Gegenmassnahmen. Eine beispiellose Hetzkampagne begann, die Friedensbewegung fand keine Versammlungsräume mehr, ihre Treffen wurden überwacht und sabotiert, ihre Tätigkeit als kommunistische Wühlarbeit, ihre Organisation als kommunistische Frontorganisation verteufelt. Dabei war es gerade Joe und Louise ein Anliegen, die Friedensfreunde möglichst breit und aus den verschiedensten Lagern zusammenzuführen. Die Zukunft ist gemeinsam oder sie ist nicht. Joe und Louise waren KommunistInnen und haben daraus nie einen Hehl gemacht, sie waren als KommunistInnen aktive FriedenskämpferInnen geworden, für sie war die Friedensfrage letztlich ebenfalls eine Frage des Kräfteverhältnisses der Klassen. Sie wussten aber auch, dass viele Menschen aus anderen Positionen, mit anderen Menschenbildern, aus anderen weltanschaulichen Überzeugungen zu einem ebenso bemerkenswerten Einsatz für unsere Erde und ihre Menschen kommen können. Gerade Joe verstand es mit seinem aufrichtigen Eifer, der immer vom Feuer innersten Engagements, aber nie von sektiererischem Fanatismus durchdrungen war, diese so unterschiedlichen Menschen für ein Ziel zu vereinen.
Ob in den Aktionen gegen den Koreakrieg, zur Rettung der Rosenbergs, gegen die Unterdrückung des algerischen Volkes, gegen den Vietnamkrieg, für die Befreiung der portugiesischen Kolonien, gegen die Apartheid, für die Rechte des palästinensischen Volkes, in unzähligen Aufklärungskampagnen gegen die atomare Bedrohung, an den Ostermärschen und den nationalen Friedenskundgebungen der 80er Jahre: überall spielte die Schweizerische Friedensbewegung ihre Rolle und insbesondere Joe war ihre treibende Kraft. Louise ihrerseits engagierte sich ab 1955 aktiv an der Gründung und Entwicklung der Schweizerischen Frauenvereinigung für Frieden und Fortschritt (SFFF). Die Gleichberechtigung der Frauen und die Solidarität mit den benachteiligten Völkern der Welt waren ihr lebenslanges Anliegen. 1968 wurde sie als eine der ersten Frauen in Basel für die Partei der Arbeit in den Grossen Rat gewählt, wie Jahre zuvor bereits ihr Mann. Auch diese demokratische Plattform wollte sie für ihre grossen Ziele nutzen. Nicht weniger als 28 Jahre wirkte sie im Parlament. Die Partei der Arbeit der Schweiz ehrte Louise zu ihrem 100. Geburtstag, indem sie der Friedenskämpferin die diesjährige Mitgliederkarte widmete.

Vereint in Idealen und Zielen
Friedenskampf umfassend verstanden, Frieden unter den Menschen, aber auch mit der Natur, das war für Joe und Louise als Mitglieder der Naturfreunde selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich wie die enge Verbindung von Friedensarbeit und Solidarität, die dialektische Zusammengehörigkeit von Frieden und Entwicklung, von Entwicklung und Frieden. Deshalb liess die schweizerische Friedensbewegung jene Völker nicht allein, die, nachdem sie die Freiheit von den Unterdrückern erkämpft hatten, nun die oft schwierigere Etappe des konkreten Aufbaus wagen mussten. Vietnam, die grosse Konstante der Solidaritätsarbeit, Kuba, Nicaragua. «Joe und Louise waren eine verschworene Gemeinschaft mit den gleichen Idealen und Zielen», schrieb Fränzi Genitsch-Hofer in der UW zum 90. Geburtstag von Louise. «Sie setzten sich mit Hartnäckigkeit unbeirrt und unermüdlich ein für den Frieden, für Gerechtigkeit, für die Rechte der Arbeiter, der Frauen, der Benachteiligten, kurz gesagt, für alle, die Hilfe und Unterstützung nötig hatten. Bis zum Tod von Joe im Jahre 1994 waren die beiden das Herz und die Seele der Schweizerischen Friedensbewegung. Obwohl Louise nun ohne ihren geliebten Lebens- und Kampfgefährten blieb, und die politische Entwicklung auf der Welt in diesen Jahren viele Rückschläge für die fortschrittliche Menschheit mit sich brachte, verzagte sie nicht. Sie setzte sich weiterhin ein, dort wo sie gerade gebraucht wurde.» Joe Stebler verstarb am 29. November 1994, Louise Stebler-Keller am 12. Februar 2019. Die Ideale, die das kämpferische Ehepaar Zeit ihres Lebens hochgehalten hat, bleiben Richtschnur für uns alle.