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Von der vietnamesischen Befreiungsrevolution bis zum Kampf um die Entschädigung der Agent Orange-Opfer
19. September, 2009
Vortrag auf der Veranstaltung zum 60. Jahrestag der Schweizerischen Friedensbewegung SFB am 19. September 2009 in Basel
Von Gerhard Feldbauer
Am 30. April 1975, vor 34 Jahren, nahmen die vietnamesischen Patrioten Saigon ein und befreiten damit nach zwei Jahrzehnten amerikanischer Besatzungsherrschaft ganz Südvietnam. Die Ketten eines fast ein Jahrhundert währenden Kolonialjochs, das einst Frankreich errichtete, wurden zerbrochen.
Meine Frau und Fotoreporterin Irene und ich wurden von 1967 bis 1970 als Auslandskorrespondenten Augenzeugen dieses Kampfes. Wir erlebten Nordvietnam, das damals Demokratische Republik Vietnam hieß, unter dem Hagel amerikanischer Bomben, wir sahen unsägliches Leid, das man oft kaum beschreiben konnte, aber wir erlebten auch den unbeugsamen Willen von Menschen, die ihre unter unsagbaren Opfern errungene Freiheit und Unabhängigkeit verteidigten, wir erlebten das Scheitern des von 1964 bis 1968 geführten barbarischen Luftkrieges der USA gegen die DRV und während des Tetfestes im Frühjahr 1968 die strategische Wende im Befreiungskampf in Südvietnam.
Vielleicht darf ich vorausschicken, dass die vietnamesische Befreiungsrevolution und in Sonderheit ihr Kampf gegen die USA-Herrschaft bis in die Gegenwart zu Vergleichen herausfordern und damit hohe Aktualität haben.. Sie ergeben, dass sich am verbrecherischen Charakter des USA-Imperialismus bei der Verfolgung seiner Weltherrschaftspläne bis heute nichts geändert hat. Das betrifft auch die verlogenen Vorwände zur Auslösung von Aggressionskriegen. Dieser Bogen spannt sich von der Provokation 1964 im Golf von Tongking als Vorwand zur Auslösung des Luftkrieges gegen die DRV über die Rolle der USA-Geheimdienste bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zur Anzettelung des sogenannten Krieges gegen den Terrorismus bis zu den Anschuldigungen des Besitzes von Massenvernichtungswaffen des Irak als Anlass des Überfalls auf dieses Land und den jetzigen Behauptungen gegenüber Iran.
Vietnam siegte über die Militärmacht der USA, die stärkste der westlichen Welt. Als Nachfolger der französischen Kolonialisten hatten die Vereinigten Staaten 1955 gegen Vietnam einen grausamen Vernichtungskrieg begonnen. Die große Hilfe des damals existierenden sozialistischen Lagers, die weltweite Solidarität der Völker und ihrer Friedenskräfte, eingeschlossen die in den USA selbst, waren entscheidende Grundlagen dieses Sieges. Aber die letztlich ausschlaggebende Bedingung, dass diese Faktoren zur Geltung kommen konnten, war der nicht zu brechende Widerstandswille des Volkes, der in den weit in die Geschichte zurückreichenden Traditionen des Widerstandes gegen Fremd- und Kolonialherrschaft als auch einheimische Unterdrücker wurzelte. Diese zu mobilisieren verstand eine kommunistische Partei, die der legendäre Führer Ho Chi Minh gegründet hatte.
Ich möchte deshalb mit einem kurzen Blick in die vietnamesische Geschichte beginnen. Denn in ihr liegen entscheidende Wurzeln dieses unbändigen Freiheitsdranges.
Das kleine Vietnam wehrte im 13. Jahrhundert dreimal die Angriffe der Mongolen ab, die in dieser Zeit China beherrschten. Darunter fiel der Sieg des Nationalhelden Tran Hung Dao über einen Enkel Dschingis Khans. Er wird zu den legendären, mit dem Volk verbundenen Herrschern gezählt. General Vo Nguyen Giap führte eine Offensive gegen die französischen Kolonialtruppen unter seinem Namen.
Weitläufig ist auch heute noch die Meinung verbreitet, die Länder, welche die kapitalistischen Staaten zuletzt im 19. Jahrhundert ihrem Kolonialjoch unterwarfen, hätten im Zustand sozialökonomischer Zurückgebliebenheit und unter mittelalterlichen Feudalverhältnissen existiert. Ganz zu schweigen von der Kolonialpropaganda, den Völkern der so unterjochten Staaten seien bürgerlicher Fortschritt und Zivilisation vermittelt worden. Vietnam widerlegt derartige Standpunkte in besondere Weise. Es war eines der entwickeltsten Länder Südostasiens. Es befand sich an der Schwelle zu einer mit europäischen Maßstäben verglichenen etwas verspäteten aber entwicklungsfähigen Etappe einer bürgerlichen Gesellschaft.
17 Jahre vor dem Pariser Sturm auf die Bastille begann in Vietnam der Bauernaufstand von Tay Son, seinem gesellschaftlichen Charakter nach eine frühbürgerliche Revolution. Es existierte eine starke Handelsbourgeoisie, Es bestanden Eisen- und Silberbergwerke, Goldminen, Kupfer-, Zink-, Blei- und Zinngruben. Die Revolution enteignete das Land der Feudalherren und übergab es den Gemeinden zur Übergabe vor allem an die armen Bauern; in den großen Industrie- und Handelszentren in Hanoi und Saigon entstand die freie Lohnarbeit; von der Blüte der Kultur zeugte, dass in dieser Zeit das vietnamesische Nationalepos Thuy Kieu (das Mädchen Kiêu) von Nguyên Du entstand. Die revolutionäre Forderung nach sozialer Gerechtigkeit kam in der Losung „Gleichheit in allen Dingen“ zum Ausdruck.
Die vietnamesischen Feudalherrscher riefen die Chinesen zu Hilfe. Im Januar 1789 wurden sie von dem vietnamesischen Bauernheer bei Hanoi vernichtend geschlagen. Bezeichnender Weise wurde die bäuerlich-bürgerliche Erhebung nach 30 Jahren mit Hilfe von Feinden der französischen Revolution niedergeschlagen Sie stellten den vietnamesischen Feudalherren dazu ein Söldnerherr auf. Drei Jahrzehnte später begann die koloniale Eroberung. 1884 endete sie mit der Unterwerfung des Kaisers, der unter der Oberhoheit Frankreichs in Zentralvietnam seine Monarchie beibehalten durfte. Zum Dank dafür beteiligte er sich an der Unterdrückung der Volksmassen. Auf dem Volk lastete so das doppelte Joch des Kolonialismus und des einheimischen Feudalismus, dessen Marionettenherrschaft bis zum Sieg der Befreiungsrevolution 1945 konserviert wurde.
Unter der Kolonialherrschaft lebten die Volksmassen in einem kaum zu beschreibenden Elend. Die vietnamesischen Arbeiter hatten keinen freien Sonntag, keinen bezahlten Urlaub, keine gesundheitliche Betreuung, keine Sozialversicherung noch Arbeitslosenunterstützung. Für die geringsten Vergehen gab es Prügelstrafen, Geldbußen und Gefängnis. An die Besitzer der Plantagen in Südvietnam wurden Bauern wie Sklaven verkauft. In dem Kohlentagebau von Hong Gai mussten die Arbeiter wie Strafgefangene auf der Kleidung Nummern tragen. Ihre elendige Lage beschrieb der amerikanische Journalist H. A. Frank 1926 wie folgt:
„Es sind arme Sklaven, in armselige Lumpen gehüllt, und schwach ist die Hand, welche die Hacke schwingt. Die Sonne brennt erbarmungslos, die Arbeit ist kräftezehrend, doch sie bringt nur wenig ein. Es gab dort auch Frauen, und vor allem hinter den Kohlekarren, kleine Kerlchen von kaum 10 Jahren; ihre von Erschöpfung gezeichneten, mit Kohlenstaub bedeckten Gesichter aber glichen denen von Vierzigjährigen. Ohne Pause trotteten sie durch den Staub.“
Aus diesem unbeschreiblichen Elend wuchs der Hass gegen die Unterdrücker, wuchs für immer mehr Vietnamesen, die sicher Marx nicht kannten, trotzdem die von ihm prophezeite Erkenntnis vermittelt erhielten, dass sie nichts zu verlieren hatten, als ihre Ketten. Diese Einsicht wurde zu einer ungeheueren Triebkraft des nationalen Befreiungskampfes, an dem schließlich Millionen teilnahmen, erst gegen die Franzosen, dann gegen die Amerikaner.
Wir spürten das bei unzähligen Begegnungen persönlich, so auch als wir die Kohlengruben von Hong Gai besuchten und mit älteren Arbeiter zusammen trafen, die dieses unbeschreibliche Elend noch selbst erlebt hatten. Viele Erzählungen über dieses Sklavendasein, das Millionen Vietnamesen unter der Kolonialherrschaft erleben mussten, verdeutlichten uns damals, dass es sich um keine Phrasen handelte, um keine Parteipropaganda, wenn wir immer wieder die Worte hörten, wir wollen keine neue Kolonialherrschaft, keine Ausbeutung und Unterdrückung, wie sie unsere Eltern und Großeltern erleiden mussten. Deshalb kämpfen wir und werden lieber sterben als in die Sklaverei zurückkehren.
Im Süden der DRV weilten wir einmal in einem Fischerdorf, es hieß Nhan Trach. Es gab da ein kleines Museum. Auf einer Tafel stand folgende Statistik: „So lebten wir vor 1945: 261 Einwohner starben an Epidemien, 240 mussten als Arbeitslose das Dorf verlassen, 154 Mädchen mussten sich verkaufen, 76 Familien mussten ihre Kinder verkaufen, um die Steuern bezahlen zu können, 74 starben den Hungertod“.
Auf einer anderen Tafel waren die Opfer während des Widerstandes gegen erneute französische Kolonialherrschaft von 1946 bis 1954 aufgeschrieben: „700 Einwohner wurden gefoltert und deportiert, 422 fielen den Säuberungsaktionen der Kolonialtruppen zum Opfer, 54 wurden ermordet, 52 bei Folterungen verkrüppelt, 201 Häuser in Brand gesteckt, 72 Boote geraubt, 180 Schweine gestohlen, 4.600 Kg Reis geraubt.“
Wir schrieben die Zahlen auf. Ich habe sie heute noch in meinen Notizbüchern stehen. Ein alter Bauer schaute uns dabei zu. 61 Jahre hatte er in dem Dorf unter dem Kolonialjoch gelebt. Was auf den Tafeln stand, hatte er alles miterlebt. Er sagte uns: „Was sie hier aufgeschrieben sehen, haben wir beseitigt. Wir haben uns ein menschenwürdiges Dasein geschaffen. Wir haben ein eigenes Dach über dem Kopf, die Boote gehören uns, ebenso der Boden und der Reis, den wir ernten und die Fische, die wir fangen.“ Kein Kolonialherr und kein einheimischer Ausbeuter kann uns das mehr wegnehmen. Wir haben genug zu essen, unsere Kinder können zur Schule gehen und sogar studieren. Ich selbst habe im Alter noch lesen und schreiben gelernt. Ich will gar nicht davon reden, dass wir freie Menschen sind, niemand uns mehr beschimpfen, treten oder gar einsperren kann. Das verteidigen wir gegen die Amerikaner, denn was wollen sie anderes in Vietnam als ein neues Kolonialjoch errichten. Wir sehen es doch in Südvietnam, wie unsere Landsleute von ihnen gedemütigt, geknechtet und gepeinigt werden. Nein und nochmals nein! Lieber wollen wir in diesem Kampf sterben als in das Joch der Knechtschaft zurückkehren. Und unsere Brüder im Süden denken nicht anders als wir, denn wir Vietnamesen sind ein Volk. Die Amerikaner sollen abziehen, sie sollen sich endlich nach Hause scheren und uns Vietnamesen in Ruhe und Frieden lassen.“
Die kleine Hütte hatte sich mit Menschen gefüllt und vor dem Eingang drängten sich weitere. Sie wiederholten seine letzten Worte wie einen Schwur: „Ja, sie sollen abziehen, sie sollen sich endlich nach Hause scheren und uns in Ruhe lassen.“
Statistiken wie die von Nhan Trach haben wir in vielen Dörfern kennen gelernt.
Über die nationale Befreiungsrevolution Vietnams kann man nicht sprechen, ohne über Ho chi Minh zu reden. Vor zwei Wochen war sein 40. Todestag. Wenn der vietnamesische Befreiungskampf seit Beginn der dreißiger Jahre des 19. Jahrhundert stets eine Massenbasis unter dem Volk hatte, war es das Ergebnis seines Wirkens und der von ihm geschaffenen kommunistischen Partei. Wir hatten das unvergessliche Glück ihn persönlich zu begegnen. Wir erlebten die kaum wiederzugebende Ausstrahlung einer faszinierenden Persönlichkeit, an der nichts von Personenkult zu bemerken war. Seine Anwesenheit spürten wir aber auch bei den vielen Begegnungen mit den Menschen Vietnams. Er war einfach dabei und er lebte, auch nach seinem Tod, im Kampf seines Volkes weiter. Ich möchte zitieren, was er kurz vor seinem in seinem Testament schrieb: „Unser Land wird die ganz besondere Ehre haben, als eine kleine Nation in heldenhaftem Kampf zwei große imperialistische Mächte – den französischen und den amerikanischen Imperialismus – besiegt und einen würdigen Beitrag zur nationalen Befreiungsbewegung geleistet zu haben.“ Ein weiteres Mal zeugte das von seiner unerschütterlichen Gewissheit und dem Vertrauen in sein Volk, dass es bis zum Sieg kämpfen werde. Ho chi Minh war ein kommunistischer Führer von außergewöhnlichem Format, wie die Geschichte nur wenige hervorgebracht hat. Mehr zu Ho chi Minh enthält ein Beitrag, den meine Frau und ich zu seinem 40. Todestag für „Unsere Welt“ geschrieben haben.
Im September 1930 brach in Zentralvietnam ein Bauernaufstand aus. 100.000 Menschen waren infolge der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise regelrecht verhungert. Das trieb die verzweifelte Landbevölkerung zu diesem Aufstand. Obwohl das Scheitern der Erhebung vorauszusehen war, stellte sich die am 3. Februar gegründete Partei an seine Spitze. Die Bauern erhielten die Unterstützung der Betriebsarbeiter, das wurde zur Basis des künftigen Bündnisses der Arbeiter und Bauern, es entstanden Bauernräte und Rote Garden, die sich acht Monate gegen die Kolonialtruppen verteidigten. Der Aufstand wurde zum Vorspiel der Augustrevolution von 1945.
Das Zusammenwirken der Arbeiter und Bauern brachte breitere Bündnisformen hervor: mit der Intelligenz, den städtischen Mittelschichten bis hin zur nationalen Bourgeoisie und selbst einzelnen Großgrundbesitzern, die sich der nationalen Bewegung anschlossen. Auch das war zu dieser Zeit in den Befreiungsbewegungen der Kolonialländer noch eine Seltenheit.
1941 hatten die Hitlerhorden halb Europa unterjocht, Japan, der faschistische Achsenpartner im Fernen Osten, hatte weite Gebiete Asiens erobert, darunter Französisch Indochina mit Vietnam. Der Generalgouverneur der mit Hitler kollaborierenden Vichy-Regierung in Vietnam überließ den Aggressoren Indochina mit allen französischen Luftwaffen- und Marinestützpunkten als Aufmarschbasis zur Fortsetzung ihrer Aggression in Südostasien. Als Gegenleistung ließ die japanische Besatzungsmacht die französische Kolonialverwaltung unter ihre Oberhoheit weiter amtieren.
In dieser Situation traf Ho chi Minh am 6. Februar 1941 in Nordvietnam ein und übernahm die Führung des Befreiungskampfes. Am 19. Mai wurde mit Vertretern der verschiedensten Volksschichten die Vietnam doc Lap Dong Minh, die Liga für die Unabhängigkeit Vietnams gegründet. Sie ging unter dem legendären Namen Viet Minh in die Geschichte ein.
Rufen wir uns doch einmal in Erinnerung, dass das 1941 von der unerschütterlichen Überzeugung sprach, das der deutsche Faschismus und der japanische Militarismus scheitern werden. Solche Bekenntnisse wünschte man sich heute.
In den Wäldern Nordvietnams scharte der spätere legendäre Befehlshaber der Volksarmee Vo Nguyen Giap seit 1941 Tausende Partisanen um sich. Sie aber hätten niemals allein den Sieg in der Augustrevolution 1945 erringen können, wenn sich ihnen nicht die Volksmassen angeschlossen hätten. Am 13. August 1945 folgten sie dem Ruf zum bewaffneten Aufstand. Binnen zwei Wochen befreiten sie Hanoi, Haiphong und die alte Kaiserstadt Hue. Am 25. August dankte Kaiser Bao Dai ab und übergab die Macht an die Vertreter der Befreiungsbewegung. Die 200.000 Mann starke japanische Armee wagte keinen Widerstand. Am 2. September 1945 rief Ho chi Minh in Hanoi vor einer halben Million Menschen die Demokratische Republik Vietnam aus.
Der Sieg der vietnamesischen Befreiungsrevolution 1945 hatte herausragende internationale Bedeutung. Zum ersten Mal siegte in der kolonialen Welt eine solche Revolution unter Führung der Arbeiterklasse mit der kommunistischen Partei an der Spitze. Sie leitete den Zerfall des imperialistischen Kolonialsystems ein. Eine weitere Besonderheit war, dass die national-demokratische Befreiungsrevolution, zunächst in Nordvietnam und später in Südvietnam in eine sozialistische Revolution überging. Außer in China, Nordkorea und Kuba war das bis heute noch nirgendwo der Fall. Sozialistische Orientierungen, wie es sie in einigen afrikanischen Ländern (z. B. Angola, Äthiopien und Mocambique) gab, scheiterten. Hoffnungen ruhen heute auf Venezuela.
Frankreich war nicht bereit, die Unabhängigkeit Vietnams anzuerkennen. Am 23. September 1945 begannen seine Truppen Saigon und größere Gebiete Südvietnams zu besetzen. Ho chi Minh reiste nach Paris. Frankreich und die DRV vereinbarten zunächst, ihre Beziehungen durch Verhandlungen zu lösen und in Südvietnam das Feuer einzustellen. Ho Chi Minh ging in der Kompromissbereitschaft so weit, bei einer Anerkennung der vollen Souveränität und territorialen Integrität der DRV einer Mitgliedschaft in der Französischen Union zuzustimmen.
Frankreich sabotierte jedoch die gefassten Beschlüsse. In Südvietnam setzte es den Kaiser Bao Dai wieder ein. Im November 1946 überfielen seine Truppen auch Nordvietnam. Hanoi verteidigte sich bis zum 17. Februar 1947 gegen eine französische Übermacht. Es begann der fast acht Jahre währende vietnamesische Widerstand gegen das wiedererrichtete französische Kolonialregime. Er endete am 7 . Mai 1954 mit dem Sieg bei Dien Bien Phu. In der Endphase seines Kolonialkrieges war Frankreich bereits militärisch massiv von den USA unterstützt worden. Um der absehbaren Niederlage zu entgehen, hatten die Militärs in Paris Washington sogar gebeten, Atombomben abzuwerfen. Präsident Eisenhower lehnte ab, weil er eine Reaktion der UdSSR als auch Chinas befürchtete. Ein weiterer Grund war, er wollte, dass die Franzosen sich in Indochina verschleißen, damit die USA ihre Nachfolge antreten könnten.
Der achtjährige Kolonialkrieg kostete 92.000 französischen Soldaten das Leben. Die Marionetteneinheiten mitgerechnet betrugen die Verluste an Toten, Verwundeten und Gefangenen fast eine halbe Million Menschen. Auf Seiten der DRV kamen über 800.000 Menschen ums Leben, ein großer Teil Zivilisten, die Vergeltungsaktionen und Bombardements zum Opfer fielen.
Die Pariser „Le Monde“ fragte damals General Giap nach den Ursachen des Sieges. Er sagte: „Rufen Sie sich die Französische Revolution in das Gedächtnis zurück, erinnern Sie sich an Valmy und ihre schlecht bewaffneten Soldaten gegenüber der preußischen Berufsarmee. Trotzdem siegten Ihre Soldaten. Um uns zu verstehen, denken Sie an diese historischen Stunden Ihres Volkes. Suchen Sie die Realität. Ein Volk, das für seine Unabhängigkeit kämpft, vollbringt legendäre Heldentaten.“
Im Juli 1954 fanden in Genf Verhandlungen statt, die mit den so genannten Indochina-Abkommen endeten. In deren Schlussdeklaration wurden die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität Vietnams, Laos und Kambodschas anerkannt. Vietnam wurde in einen Nord- und Südteil getrennt. Den Norden verwaltete die Regierung der DRV, den Südteil das Marionettenregime Frankreichs, das sich nun den USA unterordnete. Am 17. Breitengrad wurde eine – wie es ausdrücklich hieß – provisorische Demarkationslinie – errichtet. Bis zum 26. Juli 1956 sollten freie Wahlen zu einer gemeinsamen Nationalversammlung stattfinden, die eine Regierung bilden sollte.
Die USA verweigerten ihre Unterschrift. Präsident Eisenhower erklärte, dass die USA nicht an die Beschlüsse gebunden seien. Sie verhinderten die Wahlen in Südvietnam. Das geschah, wie Eisenhower in seinen Memoiren „Mandat für Change“ 1965 zugab, weil er mit allen Indochina-Experten der Meinung gewesen sei, dass „80 Prozent der Bevölkerung für den Kommunisten Ho chi Minh stimmen würden“.
Binnen zwei Jahren errichteten die USA an Stelle Frankreichs in Südvietnam eine neokoloniale Herrschaft. Ihre erste gefügige Marionette wurde der CIA-Agent Ngo Dinh Diem. Um der neuen Kolonialherrschaft ein demokratisches Mäntelchen zu verschaffen, setzte Diem auf Betreiben der USA 1955 Kaiser Bao Dai ab und proklamierte in Südvietnam eine Republik.
Nach China 1949 und Korea 1953 war die französische Niederlage in Indochina nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die dritte von strategischer Bedeutung. Im Ergebnis der nationalen Befreiungskämpfe waren in den ehemaligen Kolonien Asiens und Afrikas zahlreiche unabhängige Nationalstaaten entstanden. Dagegen verkündete Präsident Eisenhower bereits 1953 die Doktrin des „roll back“ des Sozialismus, die eine Zurückdrängung und Niederschlagung der nationalen Befreiungsbewegungen bzw. die Unterwerfung unabhängiger Nationalstaaten unter die Vorherrschaft der USA einschloss.
In Asien suchten die USA dazu ein militärisches Stützpunktsystem von Japan über Südkorea und Taiwan bis nach Australien auf- und auszubauen. Vietnam sollte darin nach Südkorea zum zweiten amerikanischen Brückenkopf auf dem asiatischen Festland werden, um so die Einkreisung Chinas und der UdSSR zu vervollständigen.
Trotz der Führung durch amerikanische Offiziere und der USA-Luftunterstützung war die über eine halbe Million starke Saigoner Armee nicht in der Lage, mit den Befreiungskämpfern fertig zu werden. Daraufhin entsandten die USA Bodentruppen. Von 40.000 1964 wuchsen sie bis Mitte 1965 auf 537.000 Mann an.
Die USA und ihr Saigoner Marionettenregime unterdrückten auf grausamste Weise jeden Widerstand. Sie errichteten ein System von Konzentrationslagern und Zuchthäusern, in denen nach einem Bericht von Amnesty international 1972 zwischen 200.000 und 300.000 politische Gefangene schmachteten. Das berüchtigtste KZ war die sogenannte Teufelsinsel auf Con Son, auf der 10.000 Menschen eingekerkert waren. Dort gab es bereits die furchtbaren Tigerkäfige für Gefangene, die in den letzten Jahren von dem USA-Gefängnis auf Guantanamo bekannt wurden.
Der CIA-Agent Barton Osborn, der den Geheimdienst verließ, schilderte, dass Jagd auf jeden Südvietnamesen gemacht wurde, der „vietcongverdächtig“ war. Und das war eine Mehrheit der Bevölkerung. Sie konnten, sagte Osborn aus, „von einem gewissen Zeitpunkt des Krieges an, alle wie wilde Tiere abgeschossen werden“. Osborn schilderte furchtbare Foltermethoden. Gefangenen wurden Holzpflöcke durch das Ohr ins Gehirn getrieben, andere aus Hubschraubern in die Tiefe gestoßen, um anwesende andere Gefangene zu Geständnissen zu zwingen.
Wir sprachen selbst mit solchen Opfern, darunter Frauen, die im Beisein ihrer Männer grausam misshandelt und vergewaltigt wurden. Für das Niederbrennen Tausender von Dörfern, die Massakrierung der wehrlosen Bevölkerung steht das Blutbad, das US-Soldaten am 16. März 1968 in My Lai anrichteten, als sie 502 Einwohner bestialisch niedermetzelten. Beteiligte GIs sagten später aus, dass in dem Dorf nicht ein einziger „Vietcong“ angetroffen wurde.
Nach und nach, zunächst örtlich und spontan, setzten sich die Südvietnamesen gegen den Terror zur Wehr. Erst im Dezember 1960 gründeten sie die Nationale Befreiungsfront FNL. In ihr schlossen sich 23 Parteien, Organisationen, Verbände, buddhistische Vereinigungen zusammen. In Verschleierung der Realität bezeichneten die USA die FNL als „Vietcong“, vietnamesische Kommunisten. Diese spielten zwar in der FNL eine aktive Rolle, bildeten aber eine Minderheit und stellten keineswegs allein die Führung.
Ein Jahr später, am 15. Februar 1961, fasste die FNL die bestehenden regionalen Partisaneneinheiten zur nationalen Befreiungsarmee zusammen. 1963 zählte sie etwa 350.000 Soldaten und Offiziere. Ihre Bewaffnung, Versorgung und Ausrüstung wurde durch die DRV gewährleistet. Zunehmend aber auch durch Beutewaffen gesichert.
Im Juni 1969 konstituierten sich die FNL und weitere Befreiungsorganisationen auf einem Volkskongress zur Republik Südvietnam und bildeten eine provisorische revolutionäre Regierung. Zu dieser Zeit beherrschten die Befreiungskräfte bereits etwa zwei Drittel des Territoriums Südvietnams.
Schockierend für das Pentagon war, dass die Befreiungskämpfer nicht nur in der Saigoner Armee aktiv waren, sondern auch in der US-Army selbst, und das nicht nur unter schwarzen GIs. Aus einem Geheimdienstbericht drang 1970 an die Öffentlichkeit, dass wöchentlich mindestens 60 Soldaten, meist farbige, zum „Vietcong“ überliefen. In den USA waren etwa 300 Gruppen oder Komitees unter Namen wie „GIs für den Frieden“ und „GIs gegen den Krieg“ aktiv. Ihr Wirken trug dazu bei, dass während der gesamten Kriegsdauer 206.000 Kriegsdienstverweigerer bekannt wurden und 423.422 GIs desertierten oder sich unerlaubt von der Truppe entfernten. Etwa 1.000 Offiziere und Unteroffiziere wurden in Südvietnam von ihren eigenen Soldaten umgebracht. Das „Armed Forces Journal“ befürchtete im Juni 1971 einen „Zusammenbruch“ der in Südvietnam stehenden Truppen. „Ganze Einheiten weichen dem Einsatz aus oder verweigern ihn, sie ermorden ihre Offiziere und Unteroffiziere, sind drogensüchtig und mutlos oder stehen kurz vor der Meuterei“, hieß es. Das war ein Faktor, der mit dazu beitrug, die Kampftruppen ab 1972 aus Südvietnam abzuziehen. In der Endphase des Kampfes 1974/75 liefen auch ganze Saigoner Truppenteile zu den Befreiungskämpfern über.
Um ihre verbrecherische Okkupation in Südvietnam und die Intervention ihrer Truppen zu verdecken, erfand man in Washington bereits 1955 die These vom „Aggressionskrieg des Nordens“. Aus einem Geheimpapier des Pentagon ging jedoch hervor, dass 80 bis 90 Prozent des „Vietcong“ Südvietnamesen waren. Die „New York Times“ brachte 1971 daraus eine Serie unter dem Titel „Die Pentagonpapiere“. Darin wurde auch die US-Provokation 1964 im Golf von Tongking enthüllt, die zum Vorwand des Luftkrieges gegen die DRV genommen wurde. Die entsprechenden Einsatzbefehle zur Eröffnung der Aggressionsakte hatte US-Präsident Johnson schon Monate vorher erlassen. Ein Untersuchungsausschuss des US-Senats stellte dazu fest, dass Präsident Johnson mit „geradezu ungeheuerlichen verlogenen Behauptungen“ sich die Zustimmung des Kongresses erschlichen hatte.
Was die Unterstützung des Befreiungskampfes im Süden betrifft, so hat die DRV nie geleugnet, dass der Norden ihn unterstützt. Dass man dabei keine Angaben über die Nordvietnamesen machte, die dort kämpften, ist verständlich. Desgleichen über die Waffenlieferungen, die nach Süden gingen.
1968 mussten die USA unter dem Druck der Weltöffentlichkeit Friedensgesprächen in Paris zustimmen. Sie mussten, was sie 1954 in Genf verweigert hatten, nun 1971 in den Pariser Abkommen anerkennen: „die Unabhängigkeit, Souveränität, Einheit und territoriale Integrität Vietnams“. Zu einem am 27. Januar 1972 in Kraft tretenden Waffenstillstand mussten sie zustimmen, dass die Streitkräfte beider Seiten dort verblieben, wo sie sich befanden. Das schloss die Anerkennung ein, dass an der Seite der südvietnamesischen Befreiungsarmee auch Nordvietnamesen kämpften.
Die USA brachen auch die Pariser Abkommen. Sie zogen zwar ihre regulären Truppen aus Südvietnam ab, ließen aber 25.000 Militärberater zurück, die bis hinunter zu einer Saigoner Kompanie faktisch die Truppen führten. Die südvietnamesische Marionettenarmee wurde von 600.000 Mann auf über 1,2 Millionen aufgestockt und mit modernsten konventionellen Waffen ausgerüstet.
Das Ende war die Zerschlagung dieser Armee, die nach der Militärmacht der Volksrepublik Chinas als zweitgrößte Streitmacht Asiens galt (900 Kampfflugzeuge, 400 Kampfhubschrauber, 2.100 Panzer und Geschütze). Erst am 28. April 1975 gab US-Präsident Ford den Befehl zur Evakuierung. Da standen die Panzer der Befreiungskämpfer schon vor den Toren Saigons. Wie in den vorangegangenen Jahren war man auch in den letzten Stunden nicht in der Lage gewesen, dass Kräfteverhältnis real einzuschätzen. Panikartig flohen die letzten US-Militärs und Botschaftsmitarbeiter mit Hubschraubern vom Dach der US-Botschaft auf die vor Saigon liegenden Kriegsschiffe. Auf Südvietnamesen, die mitgenommen werden wollten, eröffneten Marines das Feuer. Die USA hatten 130.000 hohen Marionetten versprochen, sie nach den USA zu evakuieren.
Eine Anmerkung zum Charakter des Sieges der Befreiungsrevolution in Südvietnam, der manchmal entstellt wird. So gibt es die Meinung, es habe sich um einen Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd gehandelt, in dem beide Seiten Unterstützung des USA- bzw. UdSSR-geführten Lagers erhalten hätten. Eine völlig unzutreffende These. Es war ein Befreiungskampf gegen die koloniale bzw. neokoloniale Herrschaft erst Frankreichs und danach der USA.
Nach dem Beginn der Aggression der USA erhielt die DRV die militärische Unterstützung der UdSSR, zu der modernste konventionelle Waffen gehörten, und auch Lieferungen aus der VR China. Ohne diese Hilfe hätte Vietnam dieser Aggression nicht widerstehen und über sie den Sieg erringen könnten. Zu keinem Zeitpunkt kämpften dabei ausländische Truppen an der Seite der vietnamesischen Patrioten. Entsprechende Angebote hat die DRV stets abgelehnt. Das geschah auch unter dem Gesichtspunkt, den USA keinen Vorwand für ihren eigenen massiven Truppeneinsatz zu liefern. Wohl aber befanden sich in beträchtlicher Zahl militärische Berater und Ausbilder der UdSSR in Vietnam, die sich auch in den Gefechtsstationen der Luftverteidigung, also in Raketen- und Artilleriestellungen befanden. Bis heute sind dazu die Archive nicht geöffnet worden. Wenn das einmal geschehen sollte, wird man sicher erfahren, dass viele sowjetische Militärs in diesem Kampf ihr Leben gelassen haben.
Daraus die These abzuleiten, es habe sich um einen Stellvertreterkrieg gehandelt, entspricht ebenfalls nicht der tatsächlichen Entwicklung. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass natürlich die Militärs der UdSSR in Vietnam ihre Waffen, darunter ihre modernsten MG-Jäger-Typen und Luftabwehrraketen erprobten und der Sieg in Saigon ohne die schweren sowjetischen Waffen (Panzer und Artillerie) nicht möglich gewesen wäre. Pentagon-Militärs gaben übrigens mehrfach zu, dass die in Vietnam eingesetzten Mig-Jäger damals den gleichwertigen USA-Typen überlegen waren. Und die eingesetzten Luftabwehrraketen SAM nannte Oberst Robin Olds, ein Fliegerass des Koreakrieges, öffentlich „furchterregende Raketen“. Oberst Robinson Risner, gab an, dass bei einem Angriff seines Geschwaders von 18 „Thunderchief“ fünf abgeschossen wurden. Er selbst wurde am 16. September 1965 vom Himmel über Hanoi geholt.
Die USA hinterließen 1975 in Südvietnam ein furchtbares Erbe: eine Million Tote, 500.000 Kriegsversehrte, 800.000 Waisenkinder, über zehn Millionen durch Bomben oder Gewalt aus ihren Dörfern vertriebene Bauern (das war fast die Hälfte der Einwohner Südvietnams), drei Millionen Arbeitslose, 500.000 Prostituierte; 500.000 Drogenabhängige, 25.000 Bettler und Vagabundierende, 300.000 Geschlechtskranke, eine Million Tbc- und 10.000 Leprakranke, drei bis vier Millionen Agent-Orange-Opfer, vier Millionen Analphabeten, 400.000 Soldaten der Saigoner Armee, die kapituliert hatten, 120.000 Polizisten, Zehntausende Beamte, Politiker und Angehörige reaktionärer Organisationen, Unternehmer, Kaufleute und Wucherer, die sich an der Unterdrückung des Volkes beteiligt und bereichert hatten. Schon diese Fakten verdeutlichen die ungeheueren Probleme, mit denen Nord- und Südvietnam nach dem militärischen Sieg für lange Zeit konfrontiert wurden. Eine enorme Belastung stellen bis heute die gesundheitlichen Probleme dar.
Die USA verhängten über Vietnam sofort einen totalen Wirtschaftsboykott. Ziel war, wie der amerikanische Autor Walden Bello in seinem 1994 in San Francisco erschienenem Buch „Dark Victory“ belegte, das Land in den ökonomischen Bankrott zu treiben. Die USA kamen auch nicht ihrer Verpflichtung nach, die sie in Artikel 21 der Pariser Abkommen übernommen hatten: Zum Wiederaufbau nach dem Krieg 3,25 Milliarden Dollar für einen Zeitraum von fünf Jahren als nichtrückzahlbare Hilfe zu leisten. Statt dessen begannen etwa 200.000 zurückgebliebene Agenten der CIA und ihre Saigoner Handlanger, ihre Wühlarbeit gegen die Volksmacht.
Die von Nord- und Südvietnam betriebene Politik der nationalen Versöhnung wirkte sich nur sehr allmählich auf diese Schichten und natürlich auch nicht auf alle Menschen aus. Dabei wurde generell darauf verzichtet, Personal des Marionettenregimes wegen Kriegsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Die meisten Offiziere und Beamten wurden nach mehreren Monaten Aufenthalt in Umerziehungslagern wieder freigelassen; diejenigen, die Kriegsverbrechen begangenen hatten, in der Regel maximal drei Jahre inhaftiert. Es handelte sich um Resozialisierungsmaßnahmen und nicht, wie in westlichen Presseberichten behauptet, „kommunistische Indoktrinationen“.
Viele Funktionäre des alten Regimes beteiligten sich jedoch nach der Entlassung an konterrevolutionären Aktionen und wurden danach gerichtlich zur Verantwortung gezogen. Südvietnamesische Truppen hatten sich noch vor der Einnahme Saigons an die kambodschanische Grenze zurück gezogen, von wo aus sie mit Unterstützung des Pol Pot-Regimes in den folgenden Jahren Überfälle auf Südvietnam verübten. Erst als die vietnamesische Volksarmee im Januar 1979 den kambodschanischen Befreiungskämpfern zu Hilfe kam und das Land vom Terrorregime Pol Pots befreite, konnten diese Stützpunkte zerschlagen werden.
Unter diesen Bedingungen beschlossen die DRV und die RSV bereits im April 1976, beide Landesteile auf dem Weg der Wahl einer Nationalversammlung wieder zu vereinigen. Im Juli 1976 beschloss das Parlament als Ausdruck des gemeinsamen Weges zum Sozialismus die Staatsbezeichnung Sozialistische Republik Vietnam. Das geschah unter dem Gesichtspunkt, dass angesichts der sozial-ökonomischen aber auch politisch-moralischen Zerrüttung im Süden nur das nordvietnamesische Entwicklungsmodell dem Land eine Perspektive bieten konnte. Ein weiterer Aspekt war der unter der großen Mehrheit des Volkes vorhandene Drang zur Wiedervereinigung. Befreiung und Wiedervereinigung waren die entscheidenden Triebkräfte des 1959/60 begonnenen bewaffneten Kampfes gegen die USA und Quelle des Sieges gewesen.
Niemand in der vietnamesischen Führung behauptet, diese Entwicklung sei ohne Fehler verlaufen. Wo überhaupt ist eine sozialistische Entwicklung ohne Fehler verlaufen? Nirgendwo! Aber der vietnamesischen Führung gebührt in besonderem Maße das Verdienst, sie meist bald erkannt und korrigiert zu haben. Die etwa 400.000 Vietnamesen, die in einer vom Westen angeheizten Kampagne als sogenannte „boat people“ danach das Land verließen, waren zum großen Teil Wirtschaftsflüchtlinge. Natürlich war bei einem Teil das Verlassen des Landes politisch motiviert. Und es befanden sich drunter auch aktiv an den verschiedensten konterrevolutionären Machenschaften Beteiligte.
Vietnam war mit seinen Außenwirtschafts- und Handelsbeziehungen weitgehend in das Wirtschaftssystem der sozialistischen Staaten integriert. Mit deren Zusammenbruch 1989/90 in Osteuropa stand das Land isoliert da und vor der Gefahr eines regelrechten Kollaps. Die USA und Westeuropa spekulierten, in Vietnam einen ähnlichen Prozess in Gang zu setzen wie in Osteuropa, wo die Führungen der früheren „kommunistischen und Arbeiterparteien mehrheitlich einen sozialdemokratischen Weg einschlugen und die kapitalistische Restauration hinnahmen. Vietnam hielt am Sozialismus fest. Diesen Weg musste es nun unter den Bedingungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der kapitalistischen Welt gehen.
Während die Gegner des Sozialismus die ungeheueren Schwierigkeiten, vor allem die schwerwiegenden soziale Folgen für die arbeitenden Menschen, auf das Gesellschaftsmodell zurückführen, ergeben sich diese dagegen aus den Kriegsfolgen, aus der Langzeitwirkung der kapitalistischen Überreste des Südens und aus den Beziehungen zum Internationalen Währungsfond, zur Welthandelsorganisation oder zur Weltbank. Sie werden in demagogischer Weise der vietnamesischen Führung angelastet, sind aber in Wirklichkeit Auswirkungen der hinreichend bekannten drückenden Auflagen dieser mächtigen kapitalistischen Organisationen.
Die Vietnamesen wurden für gute Reisbauern gehalten. Nach dem Sieg über die USA mussten man ihnen auch zugestehen, gute Soldaten zu sein. Aber man meinte, sie würden nicht in der Lage sein eine moderne Wirtschaft aufzubauen und zu leiten. Vietnam hat diese Propagandisten eines Besseren belehrt.
Mit seit 2001 jährlich 7,5, 2005 sogar 8,4 Prozent weist Vietnams Wirtschaft in Südostasien mit großem Abstand die höchsten Steigerungsraten auf. Die öffentlichen Investitionen betrugen jährlich durchschnittlich 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Wert der Industrieproduktion wies Zuwachsraten von über 20 Prozent auf, das Bruttosozialprodukt stieg um etwa acht Prozent.
Was sind die Grundlagen dieses sozialistischen Wirtschaftswunders? Hier sind an erster Stelle der sprichwörtliche Fleiß des vietnamesischern Volkes zu nennen, sein Einfallsreichtum, seine Intelligenz, seine Schaffenskraft. Die Kommunistische Partei wusste auch die privatkapitalistischen Ressourcen für ihren Kurs des Doi Moi (Erneuerung) zu nutzten. Doi Moi wurde übrigens nicht, wie irrtümlicherweise weit verbreitet, als „Rettungsanker“ nach der sozialistischen Niederlage in Europa 1989/90 ergriffen, sondern bereits 1986 eingeschlagen. Hier hätten die sozialistischen Länder Europas von den Vietnamesen etwas lernen können.
Das hohe Wachstumstempo trug zu einer deutlichen Steigerung des Lebensniveaus aller Schichten der Bevölkerung bei. Während in der Dritten Welt Millionen Menschen Hunger leiden, sind die Vietnamesen zufrieden stellend mit Grundnahrungsmitteln versorgt. Das Analphabetentum, das in Nordvietnam nach der Befreiung vom Kolonialjoch bereits überwunden war, ist nun im ganzen Land so gut wie beseitigt. Aber auch Schwierigkeiten werden nicht verheimlicht. So eine Arbeitslosenrate von sechs Prozent.
Trotzdem spekulieren die USA unverändert, dass die kapitalistischen Überbleibsel im Süden auf den Norden einwirken, wo besonders ein Teil der Jugend für westliche Einflüsse empfänglich ist. Und knapp die Hälfte der rund 80 Millionen Einwohner sind jünger als 25 Jahre. Ebenso wird versucht, die Partei unter Druck zu setzen, dem privatkapitalistischen Sektors freie Bahn zu lassen, und ihr „Führungsmonopol“ aufzugeben.
Der bisherige Weg Vietnams vermittelt uns die Gewissheit, dass das Land seinen Weg weiter gehen wird und es dabei die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung erhält. Ziel der Partei ist der Aufbau „eines unabhängigen, demokratischen, blühenden und starken Vietnams mit einer gerechten und modernen Gesellschaft, in welcher die Ausbeutung des Menschen abgeschafft ist.“ In Südostasien ist (von Laos mit bestimmten historisch bedingten Abstrichen abgesehen) kein Land zu sehen, dass ein solches Ziel verkündet.
Nun zum letzten Abschnitt meiner Ausführungen, den Auswirkungen des Einsatzes der chemischen Kampfstoffe Agent Orange/Dioxin auf Menschen, auf Hab und Gut durch die USA in Südvietnam und dem Kampf für eine Entschädigung der Opfer.
Mit der Verwendung dieser völkerrechtlich geächteten Kampfstoffe seit 1961 begingen die USA barbarische Kriegsverbrechen. In einer Expertenstudie hieß es dazu: „Erstmalig (wurde) in der menschlichen Geschichte ein Krieg bewusst so geführt, dass seine Zerstörungen und Folgen nicht auf die durch sie betroffene Generation beschränkt blieben. Das Kriegshandeln der USA kalkulierte bewusst zukünftige und unabsehbare Folgen mit ein oder nahm sie ohne Skrupel in Kauf.“ Bei den angewandten chemischen Kampfstoffen handelte es sich um giftige, erstickende oder ähnliche Gase sowie bakteriologische Mittel, deren Einsatz das Genfer Protokoll vom 17. Juni 1925 verbietet. Die USA traten diesem Abkommen erst 1975 nach Kriegsende bei. Die USA führten in Südvietnam den größten chemischen Krieg in der Geschichte, der zu furchtbaren langanhaltenden Folgen für Menschen und Umwelt führte. Insgesamt waren 17 Millionen Menschen dem Gift ausgesetzt. Die Zahl der gesundheitlich schwer geschädigten Vietnamesen beträgt drei bis vier Millionen, darunter sehr viele Frauen und Kinder.
Bereits die zweite Sitzung des Russel-Tribunals (November/Dezember 1967 in Roskilde/Dänemark) enthüllte, dass von 320.000 Hektar 1963 zerstörter Reisfelder diese Flächen im ersten Halbjahr 1968 auf 500.000 Hektar anstiegen und bis dahin insgesamt 3,6 Millionen Hektar Anbaufläche zerstört wurden. 1969 wurden über 900.000 Hektar Anbaufläche und damit 75 Prozent der Reiseernte und 90 Prozent des Gemüseanbaus vergiftet sowie fast die Hälfte der Wälder vernichtet.
Als „Agent Orange“ ist vor allem das eingesetzte orangenfarbene DNC (Dinitro-Orthocresol) bekannt geworden. Es wurde so nach der orangefarbenen Markierung auf den Giftfässern genannt. Die Vietnamesen nannten es „Mau-da-cam“, das Gift mit der Farbe einer Orange. In milden Konzentrationen als relativ unschädliches Unkrautvertilgungsmittel verwendet, kam es in Südvietnam in hohen Konzentrationen zum Einsatz. Zwischen 1961 und 1971 wurden in 19.905 Einsätzen etwa 80 Millionen Liter Herbizide versprüht. 61 Prozent davon bestanden aus „Agent Orange“.
Die Pariser „Le Monde“ berichtete am 27. Mai 1967, dass bestimmte in Südvietnam eingesetzte Giftstoffe die totale Vernichtung der Pflanzen- und die Vergiftung der Tierwelt zur Folge hatten. Bei Menschen riefen sie Lungenödeme sowie Magen- und Darmerkrankungen hervor. In den Einsatzgebieten kam es bei 56 Prozent der Bevölkerung nach dem Essen vergifteter Lebensmittel zu schweren Erkrankungen des Verdauungsapparates, 70 Prozent erkrankten an Bronchitis, bei stillenden Müttern versiegte die Milch, Embryos starben im Mutterleib. Neben Arsenderivaten eingesetzte andere chemische Reizstoffe führten zu Erblindungen.
Die „Föderation amerikanischer Wissenschaftler“ charakterisierte 1964 den Einsatz von Herbiziden als „Experiment eines biologischen und chemischen Krieges“ und forderte, ihn einzustellen. 1967 unterzeichneten 5.000 Wissenschaftler, darunter 17 Nobelpreisträger und 129 Mitglieder der National Academy of Scienes eine Petition an Präsident Johnson, die Anwendung von Antipersonen- und Erntevernichtungschemikalien in Vietnam zu beenden.
1966 gingen bei der UNO verschiedene Resolutionen ein, welche die USA der Verletzung des Genfer Protokolls von 1925 beschuldigten. 1969 bekräftigte die Generalversammlung der UN das Genfer Protokoll von 1925. Die USA stimmten gegen die Resolution, die mit 80 Für- und 3 Neinstimmen angenommen wurde. Am 26. Februar 1970 schrieb die „New York Times“ „dass Firmen wie die Dow Chemical (die zu den Konzernen gehört, gegen die vietnamesische Opfer klagten) für die Kriegsverbrechen ebenso schuldig sind, wie das Militär selbst.
Bis heute raffen Leukämie, Lungen- und Leberkrebs noch immer unzählige Menschen dahin. Weit über 100.000 Kinder trugen schwere Geburtsschäden davon: Missgebildete Säuglinge ohne Augen, mit Wasserköpfen und Klumpfüssen, viele debil und taub. Wo während des Krieges Giftgase niedergingen, halten die Folgen noch in der dritten Generation an. Nach 2000 kamen dort neun ein halb mal mehr behinderte Kinder zur Welt als in Gebieten, die keinen Chemiewaffen ausgesetzt waren.
Eine Gruppe der deutsch-vietnamesischen Freundschaftsgesellschaft berichtete 2002, dass sie „überall mit den Folgen des Krieges konfrontiert“ wurde, es keinen Ort gab, an dem nicht verkrüppelte oder entstellte Menschen zu sehen waren. „Wir haben Kinder gesehen, die keine Arme hatten oder deren Beine verkrüppelt waren. Oder Kinder, die noch jetzt in der 3. Generation mit Hasenscharten und Hör- oder Sehschäden geboren werden“.
Nachdem die USA sich unverändert geweigert hatten, Wiedergutmachung zu leisten, gründeten im Januar 2004 Betroffene die „Vietnamesische Vereinigung der Opfer von Agent Orang/Dioxin“. Vertreten durch drei Opfer reichte sie eine Sammelklage gegen 36 US-amerikanische Chemie- und Pharma-Konzerne auf Schadenersatz ein. Die Unternehmen hatten die international geächteten Kampfstoffe produziert und der US-Army zur Verfügung gestellt.
Die vietnamesischen Kläger wurden unterstützt von der Internationalen Vereinigung Demokratischer Juristen und der US-amerikanischen Nationalen Richtergilde, deren Anwälte den Klägern in allen Instanzen zur Seite standen. Alle Anwälte arbeiteten auf der Basis von Erfolgshonoraren.
Zusammengefasst: Die vietnamesischen Kläger und ihre US-amerikanischen Unterstützer sind in fünf Jahren durch alle Instanzen gegangen. Es gab haarsträubende Urteile, in deren Begründungen die chemischen Kampfstoffe als Herbizide verharmlost wurden, die möglicherweise einige unerwünschte Folgen hervorgerufen hätten. Die Ignoranz eines US-amerikanischen Richters gipfelte in der ungeheuerlichen Aussage: „den Vietnamesen sei kein Unrecht geschehen“. Bezeichnend für die „Unabhängigkeit“ gefällter Urteile war, dass sie der Forderung der USA-Regierung nachkamen, die Klage der Opfer zurückweisen.
Am 27. Februar dieses Jahres hat das Oberste Gericht der USA die Klage letztinstanzlich abgewiesen. Eine Begründung wurde nicht gegeben. Damit sind die juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft. Das Oberste Gericht der USA hat sich schützend vor die Chemiekonzerne, die Regierung und die Armeeführung gestellt, die in Südvietnam schwerste Kriegsverbrechen begingen und das Völkerrecht mit Füßen traten. Während Opfern der Giftstoffe in Südkorea und Kanada sowie 200.000 Kriegsteilnehmern in den USA Entschädigungen gezahlt werden mussten, wird den vietnamesischen Opfern auch die geringste Wiedergutmachung verweigert.
Die Klägerorganisationen betonten, dass sie, auch nachdem der Kampf auf juristischer Ebene nicht mehr geführt werden kann, sie ihn mit allen Mitteln in der Öffentlichkeit weiter führen werden, um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Wie einst im nationalen Befreiungskampf werden die vietnamesischen Agent-Orange-Opfer dabei auch heute in aller Welt der Solidarität der Kräfte des Friedens und des Fortschritts, des menschlichen Anstands und der Würde sicher sein. Diese Veranstaltung der Schweizer Friedensbewegung legt davon ein beredtes Zeugnis ab.