Die Westsahara steht seit Jahrzehnten unter der völkerrechtswidrigen Besatzung von Marokko. Ihre BewohnerInnen, die Sahraouis, haben ein Recht auf Selbstbestimmung, doch wen kümmert’s… Eine werteorientierte Politik scheint international abgedankt zu haben.
Von Elisabeth Bäschlin
Ein grosser Teil der Westsahara, der ehemaligen spanischen Kolonie Sahara, wird seit 1975 von Marokko widerrechtlich besetzt. Bereits 1963 hatte die UNO von Spanien verlangt, die Bevölkerung über ihre Zukunft bestimmen zu lassen. 1973 haben dann junge Sahraouis die Frente POLISARIO gegründet als Befreiungsbewegung gegen die spanische Kolonisierung.
Doch seit 1956, dem Jahr seiner Unabhängigkeit, erhebt Marokko Anspruch auf das Gebiet der Westsahara aufgrund eines angeblich historischen «Grossmarokko». In einem Gutachten von 1975 stellte der Internationale Gerichtshof in Den Haag fest, dass die Sahraouis als autochthone Bevölkerung das Recht auf Selbstbestimmung hätten und dass Marokko keinen territorialen Anspruch auf die Westsahara erheben könnten. Der damalige marokkanische König Hassan II. akzeptierte dieses Urteil jedoch nicht und organisierte Ende Oktober 1975 den «Grünen Marsch»: 350 000 marokkanische Zivilisten wurden in Lastwagen-Kolonnen begleitet von einem grossen Medienspektakel in die spanische Kolonie gefahren, um die «Sahara heimzuholen». Kaum jemand bemerkte, dass gleichzeitig die marokkanische Armee klammheimlich das Gebiet besetzte. Unter diesem Druck unterzeichneten Vertreter Spaniens, unter Einfluss der designierten Königs Juan Carlos, ein Dreier-Abkommen, in dem Spanien die Verwaltung seine Kolonie Sahara zu zwei Dritteln an Marokko (Norden) und einem Drittel an Mauretanien (Süden) abtrat.
Widerstand der Bevölkerung
Die Frente POLISARIO nahm darauf den bewaffneten Kampf gegen Marokko auf. Ein Grossteil der sahraouischen Bevölkerung flüchtete vor der Besetzung durch Marokko erst ins Landesinnere und dann, nach Bombardierungen durch Napalm- und Phosphorbomben durch die marokkanische Armee, über den kleinen gemeinsamen Grenzstreifen nach Algerien, das den Sahraouis ein Wüstengebiet im Süden der Stadt Tindouf zur freien Nutzung zur Verfügung stellte.
1976 rief der Ältestenrat der Sahraouis in Bir Lehlou die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) als unabhängigen Staat aus. In den ersten Kriegsjahren war die sahraouische Volksarmee erfolgreich, bis Marokko ab 1981, mit technischer Unterstützung der USA und finanziert durch Saudi-Arabien, die von ihm eroberten Gebiete mit einem elektronische gesicherten Verteidigungswall und vorgelagerten Minenfeldern zu sichern begannen.
Aufgrund der Initiative von UNO und Afrikanischer Union unterzeichneten beide Konfliktparteien im Sommer 1991 ein Friedensabkommen, das die Durchführung eines Referendums unter der sahraouischen Bevölkerung bis spätestens Februar 1992 vorsah. Seit Ende August 1991 sind UNO-Truppen, die MINURSO, im Gebiet stationiert, mit dem Auftrag, dieses Referendum durchzuführen. Doch bis heute konnte Marokko die Abstimmung erfolgreich verhindern – und plündert die Bodenschätze und die natürlichen Ressourcen des besetzten Gebietes.
2007 präsentierte Marokkos einen Autonomie-Plan: Die Westsahara sollte eine autonome Region innerhalb des marokkanischen Staates werden. Der Autonomie-Plan ist die einzige Lösung, die Marokko akzeptieren will. Die Sahraouis jedoch halten an ihrem internationalen Recht auf Selbstbestimmung fest und verlangen eine freie Abstimmung. Bei diesen entgegengesetzten Positionen ist nicht erstaunlich, dass alle bisherigen direkten und indirekten Gespräche und alle Sonderbeauftragten der UNO bis heute keine Lösung für den Konflikt gebracht haben.
Aktuelle Situation
In den Flüchtlingslagern südlich von Tindouf leben heute 170 000 Sahraouis. Seit 1975 haben sie hier ihren Exilstaat DARS aufgebaut, trotz zahlreicher fehlender Mittel: Es gibt Schulen von der Primarstufe bis Gymnasium, Lehrerausbildung, ein Lehrmittelzentrum, ein dreistufiges Gesundheitswesen, Frauen- und Jugendzentren, sogar eine Kunst- und eine Filmschule und allen notwendigen Ministerien. Dieser Aufbau war möglich dank der Unterstützung von befreundeten Organisationen, allen voran dem Gastland Algerien. Hier warten die Sahraouis seit 48 Jahren auf ihr Recht auf Selbstbestimmung. Im unwirtlichen Wüstenklima ist ausser einigen Oasengärten kein Anbau möglich. So ist die Bevölkerung fast vollständig von internationaler Hilfe abhängig, die aber immer zögerlicher eintrifft, so dass oft Mangel herrscht. Zunehmend gewinnen nun in den letzten Jahren die Geldsendungen von Sahraouis, die im Ausland (z.B. Spanien, Frankreich) arbeiten, an Bedeutung.
Das Recht der sahraouischen Bevölkerung auf Selbstbestimmung ist international unbestritten und wird in UNO-Resolutionen in regelmässigen Abständen immer wieder bekräftigt. Offiziell steht das Gebiet der Westsahara weiterhin auf der Liste der UNO der «nicht selbstverwalteten Gebiete», was nach einem Dekolonisierungsprozess verlangt. Gleichzeitig verlangt die UNO aber seit 2002 n ihren Resolutionen zur Westsahara stets «eine gerechte, nachhaltige und beiderseits akzeptierbare Lösung» – ein Ding der Unmöglichkeit bei diesen diametral entgegengesetzten Vorstellungen.
Kaum Interesse
Trotz dieser klaren Rechtslage setzt sich keine einzige Regierung für das Recht der Sahraouis ein oder macht Druck auf Marokko, seine illegale Besetzung zu beenden. Die Situation in der Westsahara findet international kaum Interesse – auch nicht bei den demokratischen Staaten Europas!
Offiziell hat auch lange Zeit kein Land der Welt den marokkanischen Anspruch auf das Gebiet der Westsahara anerkannt. Das änderte sich mit der Anerkennung durch Präsident Trump im Dezember 2020. Und im Gefolge der von Trump initiierten Abraham-Abkommen hat nun am 18. Juli 2023 auch Israel den marokkanischen Anspruch anerkannt und erwartet nun in Gegenzug, dass Marokko die PalästinenserInnen nicht weiter unterstützt!
Und die Schweiz? Sie erklärt sich neutral und unterstützt offiziell die Bemühungen der UNO für eine allseitig akzeptierte Lösung des Konflikts. Das EDA lehnt aber jeden nur halbwegs offiziellen Kontakt mit Vertretern der POLISARIO ab. Andererseits ist geplant, Marokko für den Zeitraum 2025 bis 2028 zu einem Schwerpunktland seiner humanitären internationalen Zusammenarbeit zu machen.
Es ist verständlich, dass die aktuellen Diskussionen in Europa um die völkerrechtswidrige Besetzung der Ukraine durch Russland bei den Sahraouis Verwunderung, aber auch Wut auslösen. Die Sahraouis lehnen die Besetzung der Ukraine klar ab, fragen sich aber, warum sich denn im Fall der genauso völkerrechtswidrigen Besetzung der Westsahara niemand für die Rechte der Sahraouis einsetzt. Warum gelten da zwei verschiedene Masse?
Elisabeth Bäschlin, em. Dozentin für Geographie, Präsidentin des SUKS / Schweizerisches Unterstützungskomitees für die Sahraouis, begleitet die Sahraouis seit mehr als 40 Jahren.
Das SUKS wurde 1976 gegründet von Schweizer Hilfswerken, um die Sahraouis in ihrem Kampf um Selbstbestimmung zu unterstützen. Mehr Informationen: www.suks.ch