Vor 50 Jahren, am 11. September 1973, beendete ein blutiger Militärputsch den dreijährigen erfolgreichen Versuch der Volksfront von Salvador Allende, Demokratie und Sozialismus zu vereinen. Washington setzte von vornherein darauf, Chile zu destabilisieren und Allende zu stürzen.
Von Jürgen Reents
Richard Helms, CIA-Chef, hat die Unterredung mit Präsident Richard Nixon und dessen Sicherheitsberater Henry Kissinger im September 1970 im Telegrammstil notiert: «Eventuelle Risiken unwichtig. Keine Beteiligung der Botschaft. Zehn Millionen Dollar zur Verfügung, mehr, falls nötig. Fulltime-Job – die Besten, die wir haben. … Die Wirtschaft soll schreien. 48 Stunden für Aktionsplan.» Die Mächtigen in Washington sannen darauf, wie sie den Amtsantritt von Salvador Allende in Chile noch verhindern könnten.
CIA-Chef Helms hatte seinen Teil der Aufgabe verstanden: Er heuerte Offiziere des chilenischen Militärs an, darunter äusserst zwielichtige Gestalten wie den General Viaux, der der faschistischen Gruppe Patria y Libertad angehörte. Sie sollten den loyalen Oberkommandierenden der chilenischen Streitkräfte, General René Schneider, entführen, die Aktion als eine von Linksextremisten erscheinen lassen, und so das mehrheitlich konservativ zusammengesetzte Parlament dazu bewegen, einen der knapp unterlegenen Gegenkandidaten Allendes zum Präsidenten zu küren. Der Plan misslang. Die CIA lieferte Geld und Waffen für die Putschisten, Schneider wurde ermordet, die Aktion konnte ihre rechtsextremistische Handschrift jedoch nicht verbergen. Die Herren in Washington hatten ihre zweite Niederlage erlitten, noch bevor die Regierung der Unidad Popular ihre ersten Schritte auf dem Weg in einen demokratischen Sozialismus gehen konnte.
Anweisungen von Nixon
Klar war damit aber auch: Die Unidad Popular stand von Anfang an nicht nur einer konservativ geprägten Mehrheit gegenüber, der sie Zug um Zug Kompromisse und Unterstützung abgewinnen musste. Sie hatte zudem eine auf Terror und Putsch geeichte extreme Rechte und einen äusseren Feind gegen sich, der über gewaltige Mittel verfügte, um Unruhe zu schüren. Insbesondere der ITT-Konzern, der die chilenische Telefongesellschaft kontrollierte, finanzierte – neben der CIA – Umsturzpläne und drängte die US-Regierung in einem Schreiben vom 1. Oktober 1971, «dafür zu sorgen, dass Allende die entscheidenden nächsten sechs Monate nicht übersteht». In einem 18-Punkte-Programm verlangte ITT u.a., Kreditbeschränkungen zu veranlassen, Hilfen aus dem Erdbeben-Fonds zu verweigern, für eine Verknappung des Dollars in Chile zu sorgen, der konservativen chilenische Presse jedoch reichlich Geld zuzustecken, und nicht zuletzt mit über «Möglichkeiten zu diskutieren», wie die CIA den «Druck unterstützen kann».
Beim Chef des Weissen Hauses fand dies offene Ohren. Nixon repetierte: «Chile hat bei internationalen Institutionen, wo wir über Stimmrechte verfügen, Darlehen beantragt. Ich habe Anweisungen erteilt, dass wir gegen alle Anträge aus Chile stimmen.» Im September 1972 sah sich der chilenische Zentralbankpräsident Alfonso Inostroza daher zu der Klage veranlasst, dass die Weltbank seit 22 Monaten keinen einzigen Kredit mehr an Chile genehmigt hatte – es sollte bis zum Putsch so bleiben. Die USA reduzierten ihre Wirtschafts- und Lebensmittelhilfe in den drei Amtsjahren Allendes auf einen Bruchteil dessen, was sie zuvor in einem Jahr gewährt hatten. Andere Staaten, darunter die zu der Zeit sozialliberal regierte Bundesrepublik Deutschland, zögerten ihre Entwicklungshilfe gehorsam hinaus. An der Londoner Metallbörse fuhren die Preise für Kupfer, aus dem Chile Dreiviertel seiner Devisen bezog, ins Bodenlose. Chiles Wirtschaft wurde destabilisiert.
Dollar flossen dagegen reichlich an die grösste und aggressiv gegen die Unidad Popular hetzende Tageszeitung «Mercurio» und an die Fuhrunternehmer, die ihren Fahrern bei den Ausständen im Sommer 1973 «Streikgelder» bis zum Vierfachen des normalen Lohns zahlten. Und an die chilenische Armee: Im Gegensatz zu Wirtschaftskrediten erhöhten die USA ihre Militärhilfe in der Allende-Zeit im Jahresschnitt auf etwa das Anderthalbfache der vorausgegangenen sieben Jahre. In noch grösserem Umfang steigerte die US-Army die Ausbildung chilenischer Offiziere in der Panama-Kanalzone, wo sie Militärs aller Herren Länder das Handwerk des «schmutzigen Krieges» lehrte.
Verbindungen zu Konzernen
Im Bericht eines US-Kongressausschusses aus dem Jahr 1975 («Church Report») wurde festgestellt, dass die Beziehungen der CIA und der US Army zu chilenischen Militärs in den Jahren 1970 bis 1973 dazu gedient hätten, eine Verbindung zu jener «Gruppe» aufrecht zu erhalten, die am ehesten in der Lage war, «Präsident Salvador Allende die Macht zu nehmen». (…) Die Schlussfolgerung des «Church Report»: «Die Bandbreite der CIA-Aktivitäten in Chile war ungewöhnlich, aber keineswegs beispiellos.»
Gerade auf dem lateinamerikanischen Kontinent haben Geheimdienste, Militär und Konzerne der USA Entwicklungen zu torpedieren versucht oder ihnen eigenhändig den Garaus gemacht, wenn diese auf weniger Ausplünderung oder gar auf Unabhängigkeit zielten. Häufig standen die US-Interventionen dabei in direkter Verbindung mit Interessen einzelner Konzerne und Banken, die ihren auf fremdem Boden erbeuteten Besitz und daraus abgezogenen Profit nicht schmälern lassen wollten, United Fruit Company, Chase Manhatten Bank, Kennecott und Anaconda, ITT und Zuckercompanies. Gelegentlich – wie in Chile, Nicaragua und Kuba – ging es darum, soziale Befreiung generell zu verhindern.
Henry Kissinger, der wenige Wochen nach dem Pinochet-Putsch vom Sicherheitsberater zum Aussenminister aufstieg, schreibt in seinen Memoiren: «Zwischen der militärischen Operation und der offiziellen Diplomatie gibt es eine Grauzone, in der unsere Demokratie sich gezwungen sieht, mit ihnen feindlichen Gruppen in Konkurrenz zu treten.» Diese Grauzone ist das übliche Parkett, auf dem die USA sich in Lateinamerika immer wieder bewegt und auf dem sie gemeinsam mit ihren Schütz- und Zöglingen lange Blutspuren hinterlassen haben. Feindliche Gruppen? Ausserhalb der Öffentlichkeit herrscht ein milderer Ton. Bei einem Treffen mit Pinochet am 8. Juni 1976 in Santiago sagte Kissinger seinem Gesprächspartner: «Nach meiner Einschätzung sind Sie ein Opfer aller linksgerichteten Gruppen dieser Welt geworden. Ihre grösste Sünde besteht darin, eine Regierung gestürzt zu haben, die kurz davor stand, kommunistisch zu werden. … In den Vereinigten Staaten stehen wir dem, was Sie hier zu tun versuchen, mit Wohlwollen gegenüber.»
Terror mit «Condor»
Die USA haben ihre Komplizenschaft mit den Mördern von Salvador Allende, Victor Jara und Tausenden anderen zu keiner Zeit der Pinochet-Herrschaft eingestellt. Der Chef der chilenischen Geheimpolizei DINA, Manuel Contreras Sepúlveda, war ein bezahlter CIA-Agent (einer von schätzungsweise 1500 bis 2000 in Chile), persönlich verantwortlich u.a. für die Ermordung des früheren Oberbefehlshabers der chilenischen Armee, General Carlos Prats in Buenos Aires und des früheren chilenischen Aussenministers Orlando Letelier 1976 in Washington. Contreras stiftete die «Operation Condor» an, ein Netzwerk der Militärregimes von Argentinien, Uruguay, Paraguay, Brasilien, Bolivien und Chile, das in den siebziger Jahren weltweit rund 200 Regimegegner aufspürte und umbrachte. Für einige der Attentate – so das auf den chilenischen Christdemokraten Bernardo Leighton 1975 in Rom – wurden italienische Neofaschisten, in anderen Fällen (z.B. Letelier) exilkubanische Terroristen und der CIA-Agent Michael Townley gedungen.
Nach dem Mord an drei uruguayischen Abgeordneten am 20. Mai 1976, die zuvor in die argentinische Hauptstadt Buenos Aires verschleppt worden waren, wies Kissinger seine Botschafter an, Kontakte zu den Militärs in ihrer Region aufzunehmen und sie dazu zu bewegen, ihre Methoden zu verschleiern. Vor allem aber sei es US-Interesse, die Informationen des «Condor»-Netzwerkes selbst mit zu nutzen. Kissinger habe u.a. den US-Botschafter in Montevideo, Ernest Siracusa, beauftragt, Kontakt zum uruguayischen «Condor»-Verantwortlichen General Vadora aufzunehmen und in einem Geheimvermerk angeordnet, dass «keine Institution der US-Regierung mit dem Austausch von Daten und Informationen über die Subversion in Verbindung gebracht werden» dürfe. Laut Nachrichtenagentur Poonal heisst es in dem Kissinger-Schreiben weiter: «Die möglichen Todes-Kandidaten dürfen unter keinen Umständen gewarnt werden». Siracusa galt Kissinger als verlässlicher Mann: Er war zur Zeit des Sturzes der bolivianischen Torres-Regierung 1971 Botschafter in La Paz und wurde 1973 in linken deutschen Zeitungen als ein Hauptübermittler zwischen Washington und dem chilenischen Militär genannt.
Kissinger schied 1977 mit dem Amtsantritt von Präsident Carter aus dem Amt des Aussenministers. Seine Nachfolgerin Madeleine Albright gestand 1998 «Verfehlungen» in der US-Politik gegenüber Chile in den 70er Jahren ein. Deren Nachfolger Colin S. Powell nannte das Schicksal Allendes in einer Fernsehdiskussion im Februar 2003 einen «Teil amerikanischer Geschichte, auf den wir nicht stolz sind».
Jürgen Reents war deutscher Journalist und bis 2012 Chefredaktor des «Neuen Deutschland».