Deutschland und die Wehrpflicht: «Ohne uns!»

Jugendliche in Deutschland sagen Nein zu einer Politik, die sie in Kasernen statt Klassenzimmer stecken will. Sie fordern Perspektiven und Selbstbestimmung – und wehren sich gegen die Militarisierung der Gesellschaft. Aus der Rede der 27-jährigen Physikerin Andrea Hornung vom deutschen Jugendbündnis «Nein zur Wehrpflicht», gehalten im Berliner Gleisdreieck zum Auftakt der grossen Friedenskundgebung vom 3. Oktober 2024.

Als Helgoland 1947 durch die britische Besatzungsmacht als Übungsgelände für Bombenabwürfe genutzt wurde, besetzten Jugendliche die Insel und erzwangen die Einstellung der Bombenabwürfe. Sie sagten: Ohne uns.

Als die Bundesrepublik remilitarisiert werden sollte, organisierten Friedenskräfte eine Volksbefragung, bei der sich mehr als 8 Millionen Menschen gegen die Remilitarisierung aussprachen. Jugendliche in ganz Deutschland mauerten Sprengkammern zu. Sie sagten: Ohne uns.

Als es im letzten Jahr vermehrt zu Waffenlieferungen in Kriegsgebiete kam, ob in die Ukraine oder nach Israel, bestreikten in Italien Hafenarbeiter Rüstungsexporte und sagten: Ohne uns.

Jetzt wollen sie in Deutschland die Wehrpflicht wieder einführen. Fast 1 Million junge Menschen sollen zu ihrem 18. Geburtstag einen Fragebogen erhalten, Männer müssen darauf antworten. Bisher musste man sich aktiv dafür entscheiden, zur Bundeswehr zu gehen. Jetzt wird die Logik umgedreht: Man muss sich aktiv dagegen entscheiden.

Die Wehrpflicht wird uns ein Jahr unseres Lebens nehmen, über das wir nicht länger selbst entscheiden dürfen. Wir sollen in Kasernen zu Drill und Gehorsam erzogen und «kriegstüchtig» gemacht werden. Wir sagen: Wehrpflicht – ohne uns. Wir wollen stattdessen lernen, kritisch zu denken und uns für den Frieden einsetzen! Wir wollen über unser Leben selbst verfügen!

Eine mögliche Wehrpflicht auch für Frauen, also der gemeinsame Dienst in der Kaserne oder im Zweifel im Schützengraben, bringt keine Gleichberechtigung. Wir kämpfen stattdessen für die tatsächliche ökonomische, juristische und politische Emanzipation der Frau.

Es bleibt aber nicht bei der Wehrpflicht, sie wollen uns auch darüber hinaus für die Bundeswehr ködern. Das machen sie schon seit Jahren, indem man bei der Bundeswehr ohne Numerus Clausus z.B. Medizin studieren kann – sich aber für 17 Jahre verpflichten und im Regelfall auch in den Auslandseinsatz muss. Sie ködern uns, indem man beim Freiwilligen Jahr bei der Bundeswehr das Vier- bis Fünffache des Gehalts eines Freiwilligen sozialen Jahrs verdient.

Die Bundeswehr nutzt damit die schlechten Ausbildungsbedingungen und den Ausbildungsplatzmangel aus, sie profitiert von Stellenstreichungen, sie nutzt aus, dass Jugendliche in dieser angeblichen sozialen Marktwirtschaft keine Perspektive haben. (…)

Als Alternative für das Ableisten der Wehrpflicht wird auch wieder über soziale Ersatzdienste diskutiert. In einem sogenannten «Gesellschaftsjahr» könne die Jugend der Gesellschaft «etwas zurückgeben». Doch in Wahrheit geht es ihnen nicht um die Gesellschaft. Es geht ihnen darum, Löcher im Sozialsystem zu stopfen, Löcher, die durch das Kaputtsparen in den letzten Jahrzehnten entstanden sind und sich in letzter Zeit zugunsten des Rüstungshaushalts verschlimmert haben. Aber soziale und andere Ersatzdienste werden diese Löcher nicht stopfen können. Statt qualifizierte Fachkräfte werden Ungelernte eingestellt. Für Jugendliche bedeutet das, als billige Arbeitskräfte und unter miesen Arbeitsbedingungen zu arbeiten. Für die Bevölkerung bedeutet das ein marodes Gesundheitssystem und fehlende soziale Einrichtungen zu haben.

Wir fragen: Wofür sollen wir denn eigentlich etwas zurückgeben? Dafür, dass wir unsere Schulzeit in kaputten Schulgebäuden mit Lehrermangel verbracht haben? Dafür, dass uns eine zerstörte Umwelt hinterlassen wird? Dafür, dass die Gefahr eines grossen Krieges auch auf europäischem Boden steigt und unser aller Leben bedroht wird?

Wir sagen: Wir brauchen stattdessen Entlastung durch mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen! Wir brauchen Geld für Bildung, Gesundheit, Klimaschutz und Soziales statt für Krieg!

Jetzt wollen sie die Schulen, die Krankenhäuser, die gesamte Gesellschaft kriegstüchtig machen. Das Bildungsministerium fordert ein «unverkrampftes Verhältnis von Schulen zur Bundeswehr». (…) Mittlerweile fängt der Kampf um die Köpfe schon bei Kindern an: Mit Comics wie «Ben dient Deutschland» soll uns schon früh eingetrichtert werden, dass die Bundeswehr gut sei. (…) Wir sagen: Kriegstüchtigkeit und Kriegserziehung – ohne uns!

Die Wehrpflicht, sie soll nicht ohne Grund eingeführt werden. Bisher war die Bundeswehr eine schnelle Eingreiftruppe, die weltweit einsetzbar sein sollte. Sie sollte weltweit einsetzbar sein, um Handelswege, Rohstoffe und Absatzmärkte, also den Profit zu sichern, wie es einigermassen offen von der Bundesregierung zugegeben wird. Jetzt soll die Bundeswehr nicht mehr nur schnelle Eingreiftruppe sein. Sie soll massiv ausgebaut werden. Dafür werden mal eben 100 Milliarden Euro locker gemacht, dafür wird der Militärhaushalt immer weiter erhöht, dafür soll das NATO-2%-Ziel noch übertroffen werden. Eine Wehrpflicht, die braucht es dann, wenn man einen grossen, langen und verlustreichen Krieg führen möchte. Kriegstüchtigkeit und Propaganda, die braucht es dann, wenn man die Bevölkerung auf einen solchen Krieg vorbereiten will, wenn man die ganze Gesellschaft danach ausrichten will. (…)

Wir brauchen Entspannung und Diplomatie statt Krieg! Wir wollen nicht auf Jugendliche anderer Länder schiessen, wir wollen in Frieden und Freundschaft mit anderen Völkern leben. Wir sagen: Nein zu Aufrüstung! Denn jede Investition in die Aufrüstung ist eine Entscheidung gegen höhere Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Umweltschutz und Soziales und damit gegen unsere Bedürfnisse und Interessen. Deshalb sind wir aktiv, gegen Auftritte der Bundeswehr, gegen Wehrpflicht, gegen Aufrüstung und sagen klar und deutlich: Wehrpflicht und Krieg– ohne uns! Nein zur Wehrpflicht!

Quelle: nie-wieder-krieg.org, Kürzung: UW