Von Israel und den USA wird das Massaker der Hamas an Israelis als Waffe genutzt, um die Palästinenser zu unterdrücken und zu beherrschen und die Kolonisierung palästinensischen Landes voranzutreiben. – Ein jüdischer Aufruf, Widerstand zu leisten gegen den Genozid in Palästina.
Von Stefanie Fox, Jewish Voice for Peace
Auf meinem Schreibtisch liegt ein Zitat, das der beliebten jüdischen Schriftstellerin und Aktivistin Grace Paley zugeschrieben wird: «Das einzig erkennbare Merkmal von Hoffnung ist Handeln.» Seit über einem Jahrzehnt motiviert mich das dazu, eine blühende Bewegung amerikanischer Juden in Solidarität mit den Palästinensern zu schaffen. Aber wo findet man inmitten des völligen Grauens Hoffnung? Meine einzige Hoffnung in diesem Moment ist, dass meine jüdisch-amerikanischen Mitbürger und Menschen mit Gewissen auf der ganzen Welt sich auf eine noch nie dagewesene Weise vereinen und ein Ende des Völkermords fordern.
Trauer und Entsetzen
Israel hat in einer Woche mehr Bomben auf Palästinenser in Gaza abgeworfen, als die Vereinigten Staaten in einem ganzen Kriegsjahr auf Afghanistan. Die israelische Regierung erliess einen Evakuierungsbefehl für den gesamten nördlichen Gazastreifen und forderte die Bewohner auf, innerhalb von vierundzwanzig Stunden zu evakuieren. Dieser Befehl warnt vor einer Bodeninvasion. Die Absicht Israels besteht darin, sich von der Verantwortung für die letztendlich massiven Verluste unter Tausenden von Menschen zu befreien, die nicht in der Lage oder nicht bereit sind, das Land zu verlassen. Die Vereinten Nationen halten dies für unmöglich in dem schmalen Landstreifen, in dem Israel 16 Jahre lang 2,3 Millionen Palästinenser – fast die Hälfte davon Kinder – in einer vernichtenden Belagerung von Land, Luft und Himmel gefangen gehalten hat.
Das ist Völkermord.
In den SMS-Nachrichten von Leuten, deren Handys noch etwa eine Stunde Akkulaufzeit haben, wimmelt es von Familien in Panik, die überlegen, ob sie fliehen sollen. Es gibt keinen Ort, an den man gehen kann. Ganze Familien – Grosseltern, kleine Nichten, Onkel und Tanten, Geschwister – wurden ausgelöscht. Jungen werden beim Fussballspielen vor einer Moschee getötet; Freunde suchen in Trümmern nach ihren Familien oder erhalten Anrufe, dass diese auf einem überfüllten Marktplatz bombardiert wurden, als sie versuchten, Lebensmittel zu kaufen.
Es werden so viele Kinder sterben, die noch nie ein Leben ausserhalb der Mauern des Ghettos gesehen haben, in das Israel sie eingesperrt hat, während Politiker hier in den Vereinigten Staaten das Blutbad bejubeln und behaupten, sie würden es tun, um Menschen meiner Religion zu schützen.
Das ist Völkermord.
Ja, am 7. Oktober brachen Hamas-Kämpfer aus dem «Gefängnis» von Gaza aus und massakrierten 1 200 Israelis, darunter viele Zivilisten, und nahmen mehr als 100 Geiseln. Von dem Moment an, als ich hörte, was geschah, überkam mich eine Kombination aus Trauer und Entsetzen über das Massaker selbst, aber auch die schiere, unerbittliche Angst vor dem Wissen, wie die israelische und die US-amerikanische Regierung diese Todesfälle in Waffen verwandeln würden.
Und genau so wird nun der Verlust israelischer Leben von meiner Regierung genutzt, um den Ansturm auf Völkermord zu rechtfertigen und um einen moralischen Deckmantel für den unmoralischen Drang nach mehr Waffen und mehr Tod zu liefern.
Ein System der Gewalt
Für Juden ist der Schmerz, den wir empfinden, nicht allein unser Schmerz. Seit der Gründung des Staates Israel hat die zionistische Bewegung die Herrschaft und Unterdrückung der Palästinenser und die Kolonisierung palästinensischen Landes als Antwort auf die sehr reale Frage der jüdischen Sicherheit positioniert. Sie haben den sehr realen Schmerz und das Trauma, das wir als Juden tragen, zu einer tödlichen Waffe gemacht. Wir müssen unbedingt verstehen, dass es sich bei dem, was geschieht, nicht um einen blossen Kreislauf der Gewalt handelt. Es ist ein System der Gewalt.
Es ist das System der kolonialen Apartheid der Siedler, das die israelische Regierung in den letzten 75 Jahren aufgebaut und aufrechterhalten hat – mit Milliarden und Abermilliarden Dollar aus den Vereinigten Staaten. Der Siedlerkolonialismus ist eine Struktur, eine Sprache, eine Kultur, eine Ideologie – ein ineinandergreifendes, totalisierendes System der Gewalt. Es ist eine Kriegs- und Entmenschlichungsmaschinerie gegen die Palästinenser. Es ist dieses System, das das Leben und die Sicherheit aller Menschen gefährdet.
Sie bleiben standhaft
Während die Gewalt des Apartheidregimes mehrheitlich die Palästinenser trifft, gibt es auch für Israelis in einem System, das auf solcher Entmenschlichung und Unterdrückung beruht, keine Sicherheit. Mit den Worten des Holocaust-Überlebenden Hajo Meyer: «Meine grosse Lektion aus Auschwitz ist: Wer einen anderen entmenschlichen will, muss zuerst selbst entmenschlicht werden. Die Unterdrücker sind nicht mehr wirklich menschlich, egal welche Uniform sie tragen.» Die israelische Regierung hat jeglichen Anschein von Menschlichkeit verloren, da sie einen Völkermord an den Menschen in Gaza begeht.
Es sind nicht die Palästinenser, die für dieses Land die Sprache der Gewalt gewählt haben. Es sind die israelische Regierung und die Regierung der Vereinigten Staaten, die einen Zustand der Gewalt geschaffen haben.
Die Palästinenser sind in ihrem Streben nach Freiheit gegen unermessliche Gewalt standhaft geblieben. Zehntausende Palästinenser protestierten während des «Grossen Rückkehrmarsches» 2019 in wöchentlichen gewaltlosen Graswurzel-Protesten an Israels militarisierter Grenzmauer um Gaza, und die israelische Regierung schickte militärische Scharfschützen, um Hunderte von Kindern, Frauen, Sanitätern und Journalisten zu ermorden und zu verstümmeln. Palästinenser starten Boykottkampagnen, um ihre Rechte durchzusetzen, und die israelische Regierung eröffnet eigens ein neues Ministerium zur Bekämpfung dieser gewaltfreien Bewegung. Palästinenser arbeiten bei Menschenrechtsorganisationen, um die gegen sie begangenen Verbrechen zu dokumentieren, und sie werden als Terroristen bezeichnet und behandelt. Die Palästinenser sprechen die Sprache der Freiheit, und die israelische Regierung antwortet jedes Mal mit der Sprache der Gewalt.
Nicht zurücklehnen!
Die Politiker der Vereinigten Staaten haben sich zusammengeschlossen, um die israelische Kriegsmaschinerie voll und ganz zu unterstützen. Schon jetzt schicken die Vereinigten Staaten jedes Jahr mehr als drei Milliarden US-Dollar an Hilfsgeldern an Israel. Und nun sagte Senator Lindsey Graham: «Ich bin auf der Seite Israels. Macht, was zum Teufel ihr auch immer tun müsst, um euch zu verteidigen. Macht den Ort dem Boden gleich.» Es ist wichtig, deutlich zu sein: Israel verteidigt sich in Wirklichkeit nicht, es begeht Massenmord. – Und Biden sagt: «Wir werden dafür sorgen, dass Israel alles hat, was es braucht, um für sich selbst zu sorgen.» Noch einmal: Israel führt Völkermord durch.
Meine Bekannten in Palästina sagen, dass sie in den 75 Jahren der Besatzung noch nie eine solche Zerstörung erlebt haben. Sie sagen, man darf keine Sekunde warten. Man darf sich nicht zurücklehnen, während Israel einen Völkermord begeht, der von den Vereinigten Staaten ermöglicht wird. Wir müssen unseren ganzen Körper, unseren Geist, unsere Gemeinschaften, unsere Menschlichkeit mitbringen, um diesem Moment gerecht zu werden. «Nie wieder!» bedeutet, sich für das palästinensische Volk einzusetzen. «Nie wieder!» bedeutet genau dieser Moment.
Stefanie Fox ist Geschäftsführerin der jüdisch-amerikanischen Friedensorganisation Jewish Voice for Peace.
Quelle: Jewish Voice for Peace, Übersetzung: UW.