Drei Jahre sind nach dem Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan und der Machtübernahme durch die Taliban vergangen. Die neue Regierung ist um internationale Akzeptanz bemüht. Die reichen Bodenschätze Afghanistans sind dabei von Vorteil.
Von Philip Tassev
«Keine Sorge, alles wird gut», versprach im September 2021 bei seinem Besuch in Kabul Pakistans damaliger Geheimdienstchef Faiz Hameed den mitgereisten Journalisten, die wissen wollten, wie es nun in Afghanistan weitergeht, nachdem die Taliban dort zwei Wochen zuvor ihr Islamisches Emirat ausgerufen hatten.
Der einflussreiche pakistanische Geheimdienst ISI hatte die Taliban und ihre Vorgänger schon seit dem Krieg gegen die sowjetische Armee unterstützt und regelmässig Taliban-Führern Unterschlupf gewährt, gleichzeitig aber auch stets mit den USA kooperiert, etwa bei der Informationsbeschaffung. Mit diesen Verbindungen diente er als Vermittler des Deals, den die USA und die Taliban im Mai 2021 im katarischen Doha schlossen und der drei Monate später zum endgültigen Abzug der NATO-Truppen und zur Machtübertragung an die Fundamentalisten führte. Hameed wurde übrigens in der vergangene Woche vom pakistanischen Militär festgenommen. Als Begründung wird Korruption genannt, aber Beobachter vermuten, dass es darum geht, Parteigänger des gestürzten Expremiers Imran Khan auszuschalten.
Drei Jahre sind seitdem vergangen, und die Lage in Afghanistan ist weit davon entfernt, «gut» zu sein. Zwar sind die ausländischen Besatzer abgezogen, das korrupte Marionettenregime beseitigt und es herrscht zum ersten Mal seit Jahrzehnten so etwas wie Frieden. Auch hat sich die Landeswährung Afghani, die sich zwischenzeitlich im freien Fall befand, entgegen den Erwartungen der Analysten stabilisiert.
Doch Millionen Afghanen sind ausser Landes geflohen, die Infrastruktur ist nach beinahe vier Jahrzehnten Krieg weitgehend zerstört, jeder vierte der 41 Millionen Einwohner hat nicht genug zu essen. Die Situation wird durch die internationalen Sanktionen und das Einfrieren von rund 10 Milliarden Dollar Auslandsvermögen der afghanischen Zentralbank noch verschärft. Die wenigen bürgerlichen Freiheiten, die den Frauen von der auf NATO-Bajonetten errichteten «islamischen Republik» gewährt wurden, kassierten die Taliban grösstenteils wieder. Statt dessen wird nach dem patriarchalen paschtunischen «Ehrenkodex» Paschtunwali gelebt und nach islamischem Recht, der Scharia geherrscht. Unter anderem wegen der fehlenden Frauenrechte hat noch immer kein Staat das Emirat offiziell anerkannt. Die Taliban-Regierung ist allerdings eifrig um internationale Akzeptanz bemüht und hat in den letzten zwei Jahren einige Fortschritte in diese Richtung erzielt. Rund zwanzig Staaten, darunter Russland, Iran, Malaysia und alle zentralasiatischen Nachbarländer, haben inzwischen zumindest auf Geschäftsträgerebene diplomatische Beziehungen zum Emirat aufgenommen und den Vertretern der Taliban die Botschaftsgebäude in ihren Hauptstädten übergeben.
Als erster und bisher einziger Staat hat die Volksrepublik China Anfang des Jahres einen afghanischen Botschafter der Taliban offiziell akkreditiert. «Als direkter Nachbar Afghanistans hängt Chinas eigene Sicherheit von den Taliban ab. Es kann es sich nicht leisten, sie zu verprellen oder zu verärgern, und hat sicherlich kein Interesse daran, das wegen der Werte zu tun», kommentierte Asienexpertin Jiayi Zhou gegenüber Al-Dschasira. «Die meisten Nachbarländer Afghanistans vertreten die gleiche Position wie China: dass man sich mit den Taliban auseinandersetzen muss, anstatt sie zu isolieren», so die Forscherin des schwedischen SIPRI. Die Akzeptanz des Taliban-Botschafters sei «bezeichnend für ein China, das sich daran gewöhnt hat, in der Aussenpolitik eine Vorreiterrolle zu spielen.»
Der wichtigste Hebel des Emirats beim Streben nach internationaler Anerkennung ist der enorme Reichtum an Bodenschätzen, der in den Bergen Afghanistans schlummert. Auf über eine Billion US-Dollar wird der Wert der unerschlossenen Rohstoffvorkommen geschätzt, die noch während der Besatzungszeit (wieder)entdeckt wurden. Neben dem aktuell sehr gefragten Lithium fanden US-Geologen damals unter anderem Gold, Edelsteine (Smaragde, Rubine) Halbedelsteine (Jade), seltene Erden, Uran, Kupfer, Zink, Erdgas und -öl, Kohle, Eisen- und Chromeisenerz, Schwefel, Blei und Marmor.
Internationale Grubenkonzerne lassen sich diese Reichtümer natürlich nicht entgehen. Frauenrechte spielen in ihren Bilanzen keine Rolle. Für sie zählt nur, dass die Fundamentalisten ein Mindestmass an Stabilität gewährleisten können. Neben einheimischen Unternehmen (oft im Besitz von ehemaligen oder aktiven Taliban-Kommandanten) haben Konzerne aus China, dem Iran, der Türkei und selbst aus Grossbritannien sich bereits Schürfrechte gesichert. Die britische NGO «Center for Information Resilience» zählt über 200 Bergbaukonzessionen, die von der Talibanregierung seit 2021 neu vergeben wurden. Satellitenbilder zeigen, dass trotz der Sanktionen und der zerstörten Infrastruktur auf die Vergabe der Konzessionen vielerorts Aktivitäten folgen. Nach Angaben der Weltbank stiegen die Staatseinnahmen Afghanistans im April/Mai 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 22 Prozent, eine Steigerung, die hauptsächlich den Minen und den Ölfeldern zu verdanken ist. «Wenn es den Taliban gelingt, den afghanischen Bergbausektor anzukurbeln, werden die Islamisten dort Erfolg haben, wo zwei Jahrzehnte westlich unterstützter Initiativen gescheitert sind – ein weiterer Beweis für das Scheitern des Zwei-Billionen-Dollar-Krieges der USA in diesem Land», schlussfolgerte die Londoner Financial Times.
Quelle: junge Welt